„Man muss dem Wohlstand nicht verfallen“

Hermann Sautter (*1938) studierte Wirtschaftswissenschaften in Tübingen und Hamburg und war von 1978 bis 2003 Professor für Entwicklungsökonomik in Frankfurt und Göttingen. Seit seiner Emeritierung beschäftigt er sich in Büchern und Aufsätzen vor allem mit Fragen der Wirtschaftsethik. Außerdem ist Sautter engagierter Christ: Nach seinem Studium war er mehrere Jahre hauptamtlicher Mitarbeiter der SMD (Studentenmission in Deutschland), von 2003 bis 2012 deren ehrenamtlicher Vorsitzender. Wir haben mit ihm über die Zusammenhänge von Wirtschaft, Ethik und christlichem Glauben gesprochen.

bedacht: Herr Sautter, in der Bibel lesen wir die folgenden Worte Jesu: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.“ Ist es da aus christlicher Sicht sinnvoll, sich an einem Wirtschaftssystem zu beteiligen, das darauf ausgelegt ist, Wohlstand, also Reichtum, zu vergrößern?


Sautter: Oh ja, natürlich. Wirtschaftliche Tätigkeiten dienen dem Zweck, das individuelle und das gesellschaftliche Leben zu ermöglichen. Wir haben Bedürfnisse und diese müssen befriedigt werden, damit menschliches Leben überhaupt möglich ist. Ein wichtiges Kriterium für ein Wirtschaften aus christlicher Motivation ist, ob ich Wirtschaften als eine Tätigkeit zur Befriedigung begrenzter Bedürfnisse ansehe oder ob ich damit prinzipiell unbegrenzten Wünschen nachjage – Wünschen nach Status, Macht, Reichtum. Die Frage ist auch, welches Ziel man verfolgt. Ist Wirtschaften ein Mittel zum Zweck oder ist es ein Selbstzweck? Ich denke, dass wir mit gutem Gewissen wirtschaften können, wenn wir es nicht als einen Selbstzweck, als einen letzten Zweck ansehen, sondern wenn es ein Mittel ist, ein Leben nach biblischem Verständnis so zu ermöglichen, dass man nicht ständig eingeschränkt ist durch Krankheit, durch Not, durch Armut, durch Elend.

Die christliche Ethik hat vor allem den Schwachen im Blick. Die Marktwirtschaft hingegen beruht auf Wettbewerb, also gewissermaßen auf dem Gesetz des Stärkeren. Widerspricht sich das nicht?

Wenn man Wettbewerb ermöglicht, verspricht man sich davon eine gewisse Leistungssteigerung im jeweiligen Gebiet. Der sportliche Wettbewerb dient dazu, sportliche Leistungen zu steigern. Der wirtschaftliche Wettbewerb dient dazu, die Produktivität der menschlichen Arbeit zu erhöhen und insgesamt Güter besser, leichter, kostengünstiger, vielleicht umfassender und den Bedürfnissen besser angemessen herzustellen. Der Wettbewerb steigert also die Leistungsfähigkeit – und davon profitieren dann alle.

Denjenigen, der im Wettbewerb unterliegt, wird das wenig trösten. Besonders wenn er eines der schwächeren Glieder im Wirtschaftskreislauf ist – ein Arbeiter vielleicht, der seinen Job verliert, weil er durch günstigere oder jüngere Arbeitskräfte ersetzt wird.

Sautter 2 600© Christian RabendaDass ein Anbieter, auch ein Arbeiter, auf dem Markt nicht mehr gebraucht wird und ausscheidet, das gehört nun mal zum Wettbewerb. Wir wollen natürlich nicht, dass jemand nicht mehr überlebensfähig ist, wenn er bestimmte wirtschaftliche Leistungen nicht erbringt. Deswegen muss jede Wettbewerbsgesellschaft eingebettet sein in eine Sozialordnung. Und diese Sozialordnung muss dafür sorgen, dass diejenigen, die im Wettbewerb unterliegen, in ihren elementaren Menschenrechten geschützt werden.

Liegt die Verantwortung da nicht auch bei den Unternehmen? Man gewinnt doch den Eindruck, dass mit Mitarbeitern häufig deshalb so rigoros umgegangen werden kann, weil sie gar nicht mehr als Menschen wahrgenommen werden, sondern nur noch als Zahlen, als Kostenfaktoren beispielsweise.

Die Tendenz besteht durchaus. Aber da muss man nüchtern sein. Es gibt eine bestimmte Variante des kategorischen Imperativs, die besagt: Du darfst den Menschen niemals bloß als Mittel sehen, sondern musst ihn immer zugleich als Zweck behandeln. In dieser Formulierung steckt drin: Du kannst ihn auch als Mittel behandeln, als Zahl, als Kostenfaktor, als Produktionsfaktor. Ein Betriebswirt, der einen komplexen Betriebsablauf organisieren muss, der muss mit Personen als Zahlen rechnen. Aber er muss immer zugleich wissen: Es handelt sich um Menschen, Mitgeschöpfe, Geschöpfe Gottes. Das ist ein Spannungsverhältnis, in dem es darum geht, verantwortliche Entscheidungen zu treffen. Dass diese ethische Verantwortung in vielen Fällen nicht wahrgenommen wird, ist klar. Es ist aber auch nicht ganz so aussichtslos. Es ist nicht so, dass die Grenzmoral – der niedrigste moralische Standard, der überhaupt noch denkbar ist – sich durchsetzt, weil sie kostengünstiger ist. Im Marktgeschehen zählen – jedenfalls wenn die Verbraucher einigermaßen verantwortlich handeln – auch andere Qualitäten. Man weiß, ob ein Unternehmen einen schlechten oder einen guten Ruf hat, wie es seine Mitarbeiter behandelt, ob es rigoros und barbarisch die Umwelt vergiftet oder ob es rücksichtsvoll ist.

Nehmen christliche Unternehmer ihre ethische Verantwortung anders wahr als andere?

Ja. Es gibt Beispiele aus der Unternehmenspraxis, die schon darauf schließen lassen, dass christlich oder überhaupt religiös motivierte Unternehmer sensibler für die Ausschöpfung solcher Handlungsspielräume aus ethischer Verantwortung heraus sind. Sie sehen vielleicht die Konflikte schärfer, die andere gar nicht erkennen, und handeln dann auch so, wie es aus ethischen Gründen vorzugswürdig ist.

Sie sprachen davon, dass auch der Verbraucher verantwortlich handeln müsse, um die Unternehmen zu ethischem Handeln zu bewegen. Wo genau liegt die Verantwortung des Verbrauchers?

Sautter 600© VRD – Fotolia.comEs gibt eine ethische Verantwortung, die durch die Globalisierung andere Dimensionen hat als früher. Für mich ist es ein Anliegen, dass im Kongo nicht Kinderarbeiter in irgendwelchen Minen bestimmte Metalle schürfen, die ich in meinem Handy verwende. Ich habe eine Verantwortung dafür, dass ich mit meinem Kaufverhalten indirekt, unbewusst und ungewollt ganz bestimmte unmenschliche Arbeitsverhältnisse unterstütze in fernen Ländern, die uns gar nicht mehr so fern sind. Und wenn ich die Verantwortung sehe, nehme ich sie irgendwie wahr, durch mein Kaufverhalten, dadurch dass ich mich engagiere in Verbraucherverbänden, in Menschenrechtsorganisationen, in Umweltverbänden.

Aber Sie werden nicht bestreiten wollen, dass es uns Verbrauchern am Schluss dann doch häufig vor allem um den Preis geht – Stichwort „Geiz ist geil!“.

Die Mentalität, die in dem Slogan „Geiz ist geil!“ zum Ausdruck kommt, ist schon auf sehr fruchtbaren Boden gefallen. Das ist ein Trend, den man beobachten kann. Das hängt mit einer wachsenden Materialisierung unseres Lebens zusammen.

Woran liegt es, dass die Materialisierung des Lebens so auf dem Vormarsch ist?

Die ganze geistesgeschichtliche, kulturgeschichtliche Entwicklung im westlichen Teil der Welt ist gekennzeichnet durch Individualisierung und einen wachsenden Subjektivismus in der Lebensgestaltung oder auch in der Auffassung, was man als Mensch ist. Jeder will selber entscheiden, was wahr und richtig ist. Dass es Wahrheiten gibt, die vorgegeben und transzendenten Ursprungs sind, diese Gewissheit ist immer mehr verdrängt worden. Materielle Werte zählen, weil andere, immaterielle Lebensziele weniger zählen. Je weniger Gott in meinem Leben zählt, je weniger ich mich in meiner Lebensgestaltung und meinen Lebenszielen auf meine durch Gott geschaffene Bestimmung orientiere, umso mehr verfalle ich immanenten Zielen, und das sind nun mal wirtschaftliche Ziele. Wachsende Säkularisierung im Verhalten der Einzelnen und im gesellschaftlichen Miteinander führt auch dazu, dass ethische Gesichtspunkte im wirtschaftlichen Verhalten mehr und mehr verdrängt werden. Wenn man keine anderen Lebensinhalte und Lebensziele hat als  gesellschaftlichen Status und materielle Güterversorgung, dann wird man sich in der Art und Weise, wie man Geschäfte abschließt, wenig stören lassen durch irgendwelche ethischen Motive.

Säkularisierung, Subjektivierung, Relativierung, das sind Megatrends in der westlichen Gesellschaft und diesen Trends unterliegen wir. Das ist auch eine Frage an die persönliche Reifung, an die persönliche Verantwortung: Wie weit lasse ich mich von diesen Trends treiben und wie stark bin ich, um mich dagegen zur Wehr zu setzen und einen anderen Kurs einzuschlagen, einen, den ich als richtig erkannt habe?

Ist es nicht eher umgekehrt? Unser Bibelzitat vom Anfang sagt doch: Der Reichtum steht dem Weg zu Gott im Wege, ist also nicht Konsequenz der Säkularisierung, sondern ihr Ursprung. Sind es nicht gerade der wachsende materielle Wohlstand und die Möglichkeiten, die sich uns dadurch zur Lebensgestaltung bieten, die uns von dem Immateriellen – also beispielsweise vom Glauben, von Gott – ablenken?

Religiöser Glaube hat mal – das ist eine alte These von Max Weber – zur Sparsamkeit und zu Fleiß motiviert und auf diese Weise Wohlstand geschaffen. Je größer aber dieser Wohlstand geworden ist, umso mehr werden die alten Tugenden natürlich von Wohlstandsdenken und materiellen Zielen überlagert. Je bequemer das Leben ist, umso mehr vergisst man, dass das Leben letzten Endes ein Geschenk ist und dass man Gott dankbar sein kann. Das ist schon im alten Israel so gewesen, wie wir in den alttestamentarischen Büchern lesen. Sobald sich eine längere Friedens- und Wohlstandsperiode breitgemacht hatte, hat der religiöse Kult an Bedeutung verloren. Es ist eine Gefahr, dem wachsenden Wohlstand zu verfallen und dem Mammon zu dienen, ihn zu verehren, das ist zweifellos richtig. Man muss überlegen, wie man mit seinem Wohlstand umgeht. In einer Wohlstandsgesellschaft haben wir Möglichkeiten, vieles zu tun, was einer armen Gesellschaft nicht möglich wäre. Wir haben die Möglichkeit, ärmeren Menschen, ärmeren Ländern zu helfen. Man kann verantwortlich mit seinem Wohlstand umgehen. Man muss ihm nicht verfallen.

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