Freiheitliche Verantwortung

„Aber da müssen wir doch etwas tun“, sagt ein Mädchen. Es ist ein Sommertag im Osten Deutschlands. Wir sitzen mit ein paar Jugendlichen unter Bäumen. Im Workshop reden wir über die Probleme im Allgemeinen und über Bürgerkrieg, Tsunami und Hungerkatastrophe im Besonderen. Die Welt ist so nah.

Baum 255Das ist gerade in diesem Teil Deutschlands nichts Selbstverständliches. Noch die Elterngeneration hatte nicht zu hoffen gewagt, die südliche Seite der Alpen je mit eigenen Augen sehen zu können.  Ihre Kinder entscheiden sich nun für ein Schuljahr in Amerika. Ein Gapyear in Japan. Ein Auslandssemester in Australien. Freiheit. Die ganze Welt steht offen. Aber es ist eben die ganze Welt, mit allen Möglichkeiten und allen Problemen. Dem Urlaub am weißen Sandstrand und den Kindern im Auffanglager. Dem teuren Schmuck vom anderen Ende der Welt und den Jugendlichen, die als Soldaten dienen müssen. Dem leckeren Obst und der Hungersnot, die zu lange dauert.

Jede Freiheit bedeutet auch Verantwortung. Verantwortung für das eigene Leben und das meines Nächsten. Ich kann nicht ans andere Ende der Welt reisen und mich über den billigen Urlaub freuen, ohne das schlecht gekleidete Schulkind am Straßenrand zu sehen. Das heißt, ich kann schon. Nur werde ich dadurch nicht zu einem Menschen, dessen Spiegelbild ich morgens lieber vermeiden möchte? Der lieber nur für sich selbst Verantwortung übernimmt, weil alles andere zu anstrengend ist? Freiheit muss auch bedeuten, die Möglichkeiten, die sich mir bieten, beim Schopf zu packen. Für mich. Und für den Menschen mir gegenüber.

Kant nannte das im Zeitalter der Aufklärung den „kategorischen Imperativ“: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ Etwa 1700 Jahre zuvor beschrieb ein Mann mit Namen Jesus diesen Auftrag so: „Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst!“ (Matthäus 22, 39). Damit griff er eine der ältesten jüdischen Traditionen auf, die in diesem Gebot (3. Mose 19, 18b) den Auftrag Gottes für das Zusammenleben der Menschen sieht. Jesus, der für uns Christen Gottes Sohn ist, predigte diese Maxime der Nächstenliebe nicht nur, er handelte auch danach. Für ihn war jeder einzelne Mensch wichtig. Die Kinder aus dem nächsten Haus, die Prostituierte aus der nächsten Stadt, der farbige Staatsbeamte aus dem nächsten Land waren ihm wichtig. Nicht wegen oder trotz ihrer Taten. Sondern weil sie  Menschen waren, einzigartige Geschöpfe. Für ihre Freiheit, die weit über die Grenzen dieser Welt hinausgeht, gab er sein Leben.

Gott ist heute noch derselbe wie damals. Und auch der Auftrag, seinen Nächsten zu lieben, besitzt die gleiche Gültigkeit. Das Arbeitsfeld ist jedoch expandiert, die Probleme sind zu viele. Bürgerkrieg in Syrien, Aids in Afrika, Rentner an der Armutsgrenze im Nachbarhaus. Würden wir die Verantwortung anerkennen und annehmen, wer sagt dann, dass wir nicht davon erdrückt würden? Lieber betrachten wir die Probleme und hoffen, dass ein anderer die Initiative ergreift. Wir loben das soziale Engagement. Wir  versichern unsere Hochachtung und begründen unsere Tatenlosigkeit damit, nicht zu wissen, wo wir anfangen sollten.  Aber was, wenn wir mit unserem Zögern das größere der beiden Übel gewählt haben?

In der Bibel, in der wir Christen das Wort Gottes sehen, steht unter anderem: „Wenn aber jemand von euch an Weisheit mangelt, so bitte er Gott, der allen willig gibt und keine Vorwürfe macht, und sie wird ihm gegeben werden“ (Jakobus 1, 5). Eine Zusage ohne Voraussetzung, Limit oder Haken. Ein Versprechen, das in zögernder Ratlosigkeit helfen kann. So sieht eine junge Frau ihre Nächste in der Mutter aus der Nachbarschaft. Die Studentin hat kein Geld im Überfluss, aber Zeit und Phantasie und so verhilft sie der zweifachen Mutter zu einem freien Abend  Und so erkennt ein junges Ehepaar seinen Auftrag als Entwicklungshelfer im Kongo. Er verlässt den lukrativen Job als Statiker, sie die Arbeit als Einzelhandelskauffrau. Sie haben gehört, dass sein Wissen den Menschen in einem kleinen afrikanischen Dorf nachhaltig das Leben erleichtern kann. Einen Auftrag, den das Ehepaar und die Studentin in Freiheit wählen. Eine Verantwortung, die herausfordert. Aber nicht überfordert.

Ein Sommertag in Osten Deutschlands. Wir reden mit Jugendlichen über Gott und die Welt. „Aber wir müssen doch etwas tun“, sagt ein Mädchen. Sie hat Recht.

Das aktuelle Heft

Bedacht 11Versöhnung. Das ist ein großes Wort und für jeden von uns zu jeder Zeit eine Herausforderung. Wie kann das gehen – Versöhnt leben? Wir begeben uns auf die Spurensuche.

Heft lesen

Newsletter

Du willst wissen was sich bei der BEDACHT so tut? Bleibe immer up to date mit unserem Newsletter!

Werde Sponsor!

Deine Spende an die bedacht ist ein Stipendium für die Gute Nachricht. Deine Unterstützung fließt dabei vollständig in die Produktion der bedacht. Da wir ehrenamtlich arbeiten, fallen bei uns keinerlei Personalkosten an.

spenden


Folge der BEDACHT auf Facebook!      Folge uns auf Twitter!
DMC Firewall is developed by Dean Marshall Consultancy Ltd