Der "Fairtrade-Monat"

Pack ich den Schokoaufstrich gleich hier in den Wagen oder geh ich noch in einen anderen Laden, wo es welchen aus „fairem Handel” gibt? Hab ich heute Zeit für einen Umweg oder ist es diesmal auch egal? Geb ich den Eurozwanzig mehr aus oder bin ich gerad knapp bei Kasse und mach das ein anderes Mal? Für einen Monat im Mai war die Antwort darauf geklärt: Umweg gehen, Mehrausgabe machen. Wir hatten uns auf ein Experiment geeinigt: einen Monat lang nur „Fairtrade“ kaufen.

„Wir” – das waren eine Handvoll Leute aus einer christlichen Studentengruppe aus Hannover. Marten hatte die Idee, mal auszuprobieren, ob es klappen kann, ausschließlich von fair gehandelten und regionalen Produkten zu leben. Einen Monat radikal, so die Idee, einen Monat unserer Verantwortung unseren Mitmenschen in den Anbauländern gegenüber mal mehr als nur halbherzig Rechnung tragen und mal sehen, was das mit uns macht.

Wir hatten uns darauf geeinigt, generell die Fairtrade-Variante zu nehmen, ob von Schokoriegeln, Eis, Pudding, Tee, Kaffee, Reis oder Chili. In Fällen, wo die Fairtrade-Variante nicht sinnvoll erschien, wie z.B. bei Obst aus Übersee, wollten wir stattdessen auf Regionales zurückgreifen. Auch einige Produkte, von denen es keine Fairtrade-Variante gibt, waren auf unserer Liste. Brot wollten wir z.B. beim regionalen Biobäcker kaufen. Sofern etwas nicht klar zuzuordnen war, wie bei Essen im Restaurant, sollte darauf verzichtet werden.  

Entweder Fairtrade oder gar nix... und was es sonst so „mit mir macht“

Erstaunlich fand ich, wie schnell Suchkriterien und Motivation, Fairtrade-Produkte zu suchen, sich ändern, wenn die Vorgabe ist: Fairtrade oder gar nicht; was Fotolia 59825257 L© nihi – Fotolia.comich aus „fairem Handel“ nicht finde, das habe ich halt nicht. Aus dem „eigentlich sollte ich ja ...”, das sich darauf beschränkt, Fairtrade dann zu kaufen, wenn es nicht mit nennenswertem Mehraufwand verbunden ist, wird eine engagierte Suche nach Verkaufsstellen. Plötzlich frage ich bei Freunden herum: „Weißt du nicht, wo es das-und-das in Fairtrade gibt?”, und bekomme, manchmal sogar unaufgefordert, Tipps zugemailt. Mir fällt auf, dass ich sonst viel zu schnell mit der Suche aufgegeben habe und dass ich nur einen Rechercheschritt weiter schon fündig geworden wäre. Ich steige in den Bus und fahre ans andere Ende der Stadt und entdecke dort einen interessanten Laden mit schönen, fair produzierten Klamotten, den ich sonst wahrscheinlich nicht extra gesucht hätte. Ein T-Shirt kann ich mir in diesem Monat entweder hier kaufen oder gar nicht; für vier Wochen existieren etliche große Klamottenläden nicht. Nicht mal als „Nur-diesmal”–Lösung. Genau genommen ist es ja auch so, kommt mir in den Sinn, dass unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellte Kleidung kein infrage kommendes Einkaufsangebot ist. Eigentlich ist das so was wie Hehlerware, denke ich, Diebesgut, geklaut von indischen Kindern. Nur dass wir für diese Art von Diebstahl keine Strafanzeige bekommen und nicht von der Polizei belangt werden.

Ich beobachte an mir auch einen skurrilen Nebeneffekt der Regeleinhaltung: Bereits in diesen wenigen Wochen schleicht sich eine Art Regelversessenheit ein, die langsam beginnt ihren eigentlichen Sinn aus den Augen zu verlieren. Sonst habe ich so was ungern oder nicht gekauft, weil ich es direkt und unmittelbar schlecht fand. Jetzt gehe ich nicht in solche Läden, weil ich es nicht darf und bestimmte Vorgaben einzuhalten habe.

Resümierend...

Gut fand ich, durch Verzicht auf unwürdig produziertes Angebot sich mit den Arbeitenden in den Anbau- und Produktionsländern etwas zu solidarisieren und, statt ignorant die „Vorteile“ dieses Angebotes zu nutzen, sich dessen Abwesenheit zu stellen.

Weil ich die Leute nicht sehe, weil sie nicht vor meiner Tür stehen und mir sagen, dass es ihnen schlecht geht durch die Jeans, die ich viel zu günstig kaufe, vergesse ich sie manchmal. Aber es gibt sie und sie sitzen in einer dunklen Halle gefährlich nah an den Maschinen und produzieren meine Shirts – gerade jetzt.

Interessant und Handlungsbedarf aufzeigend war auch zu sehen: Wenn ich auf alles verzichte, was unter schlechten Bedingungen entstanden ist, bleibt oft nicht viel übrig. Von vielen Dingen gibt es (bislang) keine Fairtrade-Variante, wie z.B. im Elektronik-Bereich. Das zeigt, dass es nicht nur an uns ist, vorhandene „faire“ Produkte zu kaufen, sondern dass es auch bedeutend ist, sich für die Entwicklung neuer, bisher noch nicht vorhandener Produkte einzusetzen.

Interessant war auch, die verschiedenen Siegel mal genauer zu betrachten. Da gibt es neben Fairtrade ja auch noch andere Logos und ich hatte mich jetzt mal damit zu beschäftigen, was eigentlich der genaue Unterschied ist. Produkte mit dem Gepa-Siegel haben z.B., wenn es sich um „Mischprodukte” handelt, einen wesentlich höheren Anteil (60–80%) fair gehandelter Erzeugnisse als solche mit dem Transfair-Siegel, bei denen bereits ein Anteil von 20% genügt. Die Anteile sind meist auf der Verpackung ausgewiesen – das macht einen zweiten Blick lohnend. 

Und hat es denn geklappt?

Einerseits hat unser Experiment zu erstaunlich großen Teilen funktioniert. Wenn man danach sucht, gibt es viel mehr „faire“ Produkte, als man ahnt. Und wenn man bewusst eine Weile darauf achtet, wo das Obst beispielsweise herkommt, gibt es immer wieder Überraschungen: Äpfel? Wieso kommen so viele aus Argentinien, obwohl es doch um die Ecke welche gäbe?

Es war, verglichen mit unseren vorherigen Erwartungen, gar nicht so schwer, einen großen Teil, vielleicht zwei Drittel der Lebensmittel und Kleidung, aus fairem Handel und von regionalen Anbietern zu kaufen. 100% waren dagegen fast unmöglich zu erreichen, denn viele Sachen gibt es nicht in Fairtrade. Zudem steckt selbst in Produkten mit dem Fairtrade-Siegel oft nicht zu 100% Fairtrade. Aber ein Großteil war zu finden. Eine meiner meistgenutzten Websites zur Recherche während des Experiments war: www.fairtrade-deutschland.de/produkte/produktdatenbank

Das Experiment hat in jedem Fall ein stärkeres Bewusstsein geschaffen für die Herkunft verschiedener Produkte und ich kann es (abgesehen von der Regelversessenheit) weiterempfehlen. Es lohnt sich, es mal auszuprobieren.

Hilft Fairtrade-kaufen denn so viel?

Auch Fairtrade-Produkte sind natürlich nicht die Lösung aller Probleme, was gerechte Verteilung und bessere Arbeitsbedingungen betrifft. Aber sie sind ein Beitrag. Und dass Fairtrade-Produkte nicht alles leisten können, ist für mich längst noch kein Grund, stattdessen nur auf Nicht-Fairtrade-Produkte zurückzugreifen – denn die leisten noch weniger.

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