Auf der Suche nach der einen Wahrheit

Das Pew Research Center veröffentlichte vor Kurzem eine Studie, nach der von den im Jahr 2010 6,9 Milliarden Weltbewohnern rund 32% Christen, 23% Moslems, 15% Hindus, 7% Buddhisten, 6% Anhänger von Naturreligionen, 0,2% Juden und weitere 0,8% Anhänger kleinerer Religionen sind. Zoomen wir in nun bester Google-Maps-Manier von der Welt- auf die Deutschlandkarte, sehen wir Ähnliches: Auch hier ist die Mehrheit der Bevölkerung Christen (ca. 62%), gefolgt von den Muslimen (5%). Alle anderen Religionsgemeinschaften stellen in Deutschland ungefähr 1% der Bevölkerung dar, davon 270.000 Buddhisten, 200.000 Juden, 100.000 Hindus, 10.000 Sikhs und 6.000 Baha’is (Stand 2011).

Fotolia 43549016 XL© honzakrej – Fotolia.comEs ist unübersehbar: Religiöse Vielfalt betrifft uns, die Globalisierung ist im vollen Gange. „Das bereichert unsere Gesellschaft“, sagen manche. „Das behindert ein friedliches Zusammenleben“, befürchten andere. Und gerade weil hinter der letzteren Aussage eine ganz berechtigte Sorge steckt, möchte ich sie mir etwas genauer anschauen. Sie lautet: Wenn jemand einen allgemeinen Wahrheitsanspruch erhebt und damit sagt, dass andere Ansprüche dieser Art nicht greifen, ist das nicht automatisch intolerant und arrogant?

Wahrheit und Toleranz

Der Begriff „Toleranz“ ist also sehr wichtig – in einer globalisierten Welt mehr denn je. Aus diesem Grund kann es nicht schaden, den Toleranzbegriff einmal näher zu beleuchten. Toleranz (lat. tolerare, dt. erdulden) ist in seiner klassischen Sicht die folgende Auffassung: Ich habe einen Standpunkt, den ich für überzeugend halte, aber ich kann es aushalten, wenn jemand anderes einen anderen Standpunkt hat. Ich teile die Sicht meines Gegenübers zwar nicht und glaube sogar, dass er bei bestimmten Punkten nicht richtigliegt. Ich werde ihm aber stets mit vollem Respekt und Wertschätzung begegnen.

Ich halte diese Einstellung gerade für Christen aus einem einfachen Grund für sehr zentral: Sie ist schlichtweg „bibel-kompatibel“. Denn Jesus fordert genau das, er sagt: „Ich bin der Weg, ich bin die Wahrheit, und ich bin das Leben! Ohne mich kann niemand zum Vater kommen“ (Johannes 14, 6). Und genauso sagt er: „Liebt eure Feinde. Selbst die Menschen, die nicht für euch sind. Begegnet ihnen mit Liebe und tretet für sie ein“ (frei nach Lukas 6, 27). Auf der einen Seite erhebt Jesus also einen absoluten Wahrheitsanspruch, auf der anderen fordert er seine Nachfolger heraus, jedem Menschen (selbst denen, die einem nichts Gutes wollen) mit höchster Wertschätzung zu begegnen. Aber nicht nur mit Toleranz, sondern mit Liebe. So und nicht anders sollte ein Toleranzverständnis sein, für das Christen sich stark machen. Solch eine Toleranz steht auch nicht im Widerspruch zu einem Wahrheitsanspruch. Es ist sehr gut möglich, auf diese Art und Weise tolerant zu sein und zugleich einen Wahrheitsanspruch zu erheben.

Auf der Suche nach Wahrheit

An dieser Stelle möchte ich eine steile These formulieren: Ich bin der Meinung, dass es keine plausible Alternative zur einen Wahrheit gibt. Und ich sage das in vollem Bewusstsein und mit ganzem Respekt vor den Zahlen und Fakten, die ich zu Beginn aufgeführt habe. Natürlich leben wir in einer globalisierten Welt und hier treffen verschiedene Glaubenskonzepte aufeinander. Und viele sagen: „Könnten wir des Friedens willen nicht sagen, dass alle an den gleichen Gott glauben?“ Natürlich könnte man das, aber es wäre nicht überzeugend. Das möchte ich freilich begründen.

„Alle haben irgendwie Recht”

Diese Alternative zur Sicht, dass es nur eine Wahrheit gibt, ist eine pluralistische: „Vielleicht ist ja alles irgendwie wahr.” Ich gebe zu: Das klingt sehr sympathisch und vermeidet Streit. Allerdings hat die Sache einen großen Haken: Wer so denkt, hört nicht darauf, was die Religionen über sich selbst sagen – bügelt glasklare und identitätsstiftende Unterschiede zwischen ihnen einfach glatt. Vielleicht werden sie sogar wahrgenommen, aber es wird gesagt, dass sie nicht wichtig sind. Das führt letztlich aber dazu, dass der Glaube der verschiedenen Religionen an sich gar nicht mehr ernst genommen wird. Die Identität der verschiedenen Religionen wird zum Opfer menschlichen Toleranzbestrebens.

Gibt es überhaupt relevante Unterschiede? Nun, im Buddhismus existiert zum Beispiel gar kein (ewiger und allmächtiger) Gott, zu dem man gelangen könnte. Diese Vorstellung ist für Buddhisten vollkommen fremd. Das sieht aber wieder ganz anders aus, wenn wir uns etwa dem Islam zuwenden. Muslime glauben an einen persönlichen, allmächtigen und heiligen Gott, zu dem jeder kommt, der sich das durch gutes und recht motiviertes Handeln verdient hat. Der christliche Glaube sagt hier genau das Gegenteil: Zu Gott kommt man nicht, indem man ein guter Mensch ist. Christen glauben ja gerade, dass wir nicht durch unser Handeln vor Gott gerecht werden, sondern durch das, was Jesus für jeden von uns getan hat. Wir sehen: Bereits bei drei Religionen liegen uns drei unterschiedliche Wege zu Gott vor. Und es ist logisch unmöglich, dass sie alle Recht haben können.

Kernbotschaften

Schauen wir uns etwas noch Zentraleres an: ihre Kernbotschaften. Bei Buddhisten finden wir den Hauptgedanken, dass das Leben Leiden ist (Gott spielt hier wie gesagt keine Rolle). Dieses Leid hat verschiedene Ursachen und kann durch Sittlichkeit, Weisheit und Vertiefung beendet werden. Der Islam besagt hingegen, dass es keinen Gott außer Allah gibt, keiner ihm gleich und Mohammed sein Prophet ist. Christen glauben im Kern, dass Gott in Jesus Mensch wurde, am Kreuz für unsere Sünden starb und nach drei Tagen wieder auferstanden ist. Und nun kommt es: Die engagierten Vertreter der jeweiligen Religionen sagen selbst, dass ihre Kernbotschaften nicht miteinander vereinbar sind. Frage gerne einmal nach.

Wer also sagt, dass alle Recht haben, redet sich in eine logische Sackgasse. Zwei oder mehrere Dinge, die Unterschiedliches sagen, können nun einmal nicht gleichzeitig wahr sein. Genau diese unterschiedlichen Aussagen treffen die verschiedenen Religionen aber; wer also darauf besteht, dass sie trotzdem alle Recht haben, blendet ihre Kernelemente unberechtigterweise aus. Das sind meine Gründe, warum mir diese Alternative zur einen Wahrheit nicht sehr überzeugend erscheint. Und zudem: Wer sagt, dass alles irgendwie wahr ist, der erhebt ja auch einen absoluten Wahrheitsanspruch, der andere Ansprüche dieser Art als falsch abstempelt.

Eine zweite Alternative

„Moment“, sagen nun einige. „Es gibt da aber noch eine andere Alternative zur einen Wahrheit, nämlich: Es gibt gar keine Wahrheit. Nichts ist wahr.” Das Problem an dieser Aussage ist nur, dass sie nicht funktioniert. Denn der Satz: „Es gibt keine Wahrheit“, der will doch als wahr verstanden werden, oder? Aber wie will er wahr sein, wenn es doch keine Wahrheit gibt. Ein Widerspruch in sich, der auch diese Alternative nicht sonderlich überzeugend macht. Daher beinhaltet auch die relativistische Behauptung, dass nichts wahr ist, ebenfalls einen absoluten Wahrheitsanspruch. Folglich tauscht man also auch bei dieser Alternative lediglich einen absoluten Wahrheitsanspruch mit einem anderen aus.

„Halt!“, sagen nun einige. „Natürlich ist so etwas wie Glaube relativ. Warum? Weil Glaube vom gesellschaftlichen Umfeld abhängt. Wäre ein Christ nicht in Deutschland geboren, sondern z.B. in Pakistan, dann wäre er mit Sicherheit kein Christ – sondern Moslem.“ Ich würde das nicht einmal verneinen. Es ist ja sehr gut denkbar: Glaube ist sozial konstruiert. Das Problem dabei ist nur: Warum sollten das nur theistische Weltsichten sein? Warum nicht auch atheistische oder agnostische? Wenn ein Atheist in Pakistan geboren wäre, wäre er mit Sicherheit auch kein Atheist. Warum sollte man hier mit anderem Maß messen? Wir sehen: Die Denkweise, dass Weltsichten konstruiert sind, zieht allen Weltsichten den Boden unter den Füßen weg – unerfreulicherweise auch der eigenen. Ist folglich doch alles relativ – gibt es keine Wahrheit? Nun, wie wir gerade oben gesehen haben, ist das schon rein logisch nicht möglich. Auch diese Denkweise führt uns also in eine Sackgasse.

Trotz allem hat die Frage der Wahrheit für mich persönlich eine hohe Bedeutung. Warum? Nun, ich habe nur dieses eine Leben hier und das ist mir viel zu wertvoll und zu kostbar, als dass ich mich mit weniger zufrieden geben möchte als mit einer Wahrheit, auf die ich mich verlassen kann. Ich möchte mein Leben auf etwas aufbauen, das mich objektiv wie subjektiv wirklich überzeugt.

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