Per Du mit dem Chef?

Gott und Mensch – ein ungleiches Paar, keine Frage. Trotz alledem ist es aber immer wieder verblüffend, zu beobachten, wie sehr Missverständnisse über Gott unser Denken beeinflussen und die klare Kluft zwischen Gott und Mensch weitaus größer erscheinen lassen. „Und eigentlich“, so sagen Christen, „ist der Abstand zwischen Gott und Mensch gar nicht so groß, wie man landläufig denkt.“ Das Mensch-Gott-Verhältnis ist aus christlicher Sicht also ganz anders, als viele meinen. Wo die Missverständnisse und gedanklichen Fehlschlüsse liegen, dazu im Folgenden mehr.

Chef600Creazione di Adamo (Michelangelo Buonarroti) © Erzalibillas – wikimedias commonsZugegeben: Die Titelfrage klingt etwas banal, aber gerade am Arbeitsplatz kann es schwierig sein, die richtige Antwort zu finden. Darf ich meinen Chef duzen oder soll ich ihn besser siezen? Das vertrauliche „Du“ ist nicht immer angebracht, das förmliche „Sie“ kann oft unschöne Distanzen schaffen. Das Ganze wird nun noch spannender, wenn man sich einmal in die christliche Perspektive hineindenkt: Denn wenn es stimmt, was Christen glauben, ist nicht Barack Obama die mächtigste Person, die es aktuell gibt, sondern tatsächlich Gott. Mehr Chef geht nicht und die Frage bleibt: Darf ich ein persönliches Verhältnis zum „Chef“ haben? Oder beruht dieses Verhältnis doch eher auf Distanz? Und damit sind wir bei unserer Ausgangsfrage: Was denken wir eigentlich darüber, in welchem Verhältnis wir zu Gott stehen? Und er zu uns?

Ein Gott der Ferne

Meiner Erfahrung nach ist ein weit verbreitetes Bild, wie Gott zu uns steht, das folgende: Gott ist ein Gott der Ferne. Vielleicht hat er mal die Erde geschaffen, aber damit hat sich sein Engagement für uns auch schon. Es ist ein Gott ganz weit weg, dieses eine höhere Wesen, das es zwar irgendwie gibt, das auch mal romantische Gefühle auslöst, das aber eigentlich kein Interesse an uns hat und das auch deshalb keinerlei Auswirkungen auf mein alltägliches Leben hat. Wenn überhaupt, darf man so einen Gott maximal siezen und nur an den ganz besonderen Tagen siezt er vielleicht auch mal zurück.

Ich persönlich habe nun viel Verständnis dafür, wenn man sagt: „Bei so einem distanzierten Gott, was spielt es da für mich eine Rolle, ob es ihn gibt oder nicht?“ Eine ganz entscheidende Frage ist nur: Was wäre, wenn Gott völlig anders ist, als bislang gedacht? Denn wenn wir Christen von Gott reden, dann meinen wir, dass Gott persönlich ist. Gott ist kein Es, sondern ein Jemand, der ansprechbar ist, Absichten hat, sogar Gefühle und Sehnsüchte. Das überrascht zumeist viele. Dieser Gedanke ist neu – aber deshalb ja nicht falsch: Der Gott, an den wir Christen glauben, dem kann sogar etwas fehlen, nämlich der Kontakt zu den Menschen, die er geschaffen hat. Der gar keine Lust hat, stiller Verwalter des Universums zu sein, sondern der sich sagt: „Dieser eine Mensch fehlt mir – und solange ich nicht wieder in Kontakt mit ihm komme, solange suche ich nach ihm.”

Gott ist wie eine Frau

Jesus drückt das an einer Stelle für viele ganz verblüffend aus, wenn er (im Lukas-Evangelium, Kap. 15) sagt: „Wisst ihr was? Gott ist wie eine Frau.” “Was?!”, sagen die Leute. “Ja”, sagt er, „Gott ist wie eine Frau, die zehn silberne Münzen besitzt. Und diese Münzen sind ihr ein und alles.” Ich stelle mir das so vor: Morgens steht diese Frau auf und geht zu ihrer kleinen Kommode, in der sie in der obersten Schublade ihre zehn geliebten Silbermünzen liegen hat. Und die zählt sie jeden Morgen voller Freude durch, weil ihr so viel an ihnen liegt. Sie zählt: „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn.” Wunderbar, alle noch da. Sie legt die Münzen wieder zurück, macht die Schublade zu und geht zufrieden zur Arbeit.

Abends kommt sie heim, geht in das Zimmer, in dem die Kommode mit den Münzen steht, öffnet voller Vorfreude die Schublade und beginnt wieder zu zählen: „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, … Oh nein!! Eine fehlt, wo ist sie hin? Heute Morgen waren sie alle noch da?!?“ Die Frau schaut unter den Teppich, hinter die Kommode, rückt ihre Möbel hin und her und sucht und sucht und sucht. Und irgendwann hat sie diese eine fehlende Münze wiedergefunden. Und was tut eine Frau, wenn sie etwas findet, das sie schon lange gesucht hat? Sie rennt zu ihren Freundinnen und erzählt es ihnen: „Meine Münze, mein liebster Schatz, den ich so vermisst habe, endlich ist er wieder da. Kommt, das feiern wir!” Das mag sich für dich vielleicht ungewohnt anhören, aber genauso, glauben Christen, ist Gott: Er sucht nach jedem einzelnen Menschen. Und wenn ihm auch nur der Kontakt zu einem einzigen Menschen
abhandengekommen ist, sich einer von ihm abwendet oder angefangen hat, ihm zu misstrauen, dann lässt das Gott keine Ruhe. Und er läuft dem Menschen nach, sucht ihn, bis er ihn gefunden hat. Weil er jedem einzelnen mit seiner Liebe begegnen will und jeden einzelnen Menschen unendlich wertvoll findet.

Zwei Missverständnisse

Das ist der Gott, an den wir Christen glauben. Der Gott, der in Jesus selbst Mensch geworden ist, um Kontakt mit seinen Geschöpfen zu haben. Nichts anderes verbirgt sich schließlich hinter dem Begriff „Christsein“. Meiner Erfahrung nach ist das für viele Zeitgenossen gerade deshalb ungewöhnlich, weil sich im Laufe der Zeit hierüber doch so einige Missverständnisse angesammelt haben. Das erste Missverständnis lautet, Christsein sei in erster Linie ein Verhalten. Das Einhalten einer bestimmten Lebensweise. Das stimmt aber nachweislich nicht, auch wenn das viele Leute vermuten. Ich habe mal Menschen die Frage gestellt: „Sind Sie Christ?“ Und viele haben geantwortet: „Nun ja, ich bemühe mich.“ Das ist aus christlicher Sicht schon etwas witzig, denn stellen wir uns einmal vor, wir würden jemanden fragen: „Sind Sie ein Mann?“, und er sagt: „Naja, ich bemühe mich.“ Das wäre seltsam, denn es geht beim Mannsein nicht um ein Verhalten, sondern um eine Identität; ebenso beim Frausein und eben auch beim Christsein.

Ein zweites Missverständnis lautet, Christsein sei die formelle Zugehörigkeit zu einer christlichen Gruppierung. Aber auch dem ist nicht so. Wenn wir Menschen fragen: „Sind Sie Christ?“, und sie antworten: „Ja, ich bin katholisch“ oder „Ich bin evangelisch“ oder „Nun, ich gehe ab und an schon in die Kirche”, dann ist das nicht die Antwort auf unsere Frage. Das wäre in etwa so, als wenn man jemanden fragen würde: „Sind Sie verheiratet?“, und er antwortet: „Naja, ich war schon einmal im Standesamt.“ Nein, Christsein meint in erster Linie nicht ein Verhalten und auch nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppierung.

Was aber dann? Christsein meint im Kern eine Beziehung – eine vertrauensvolle Beziehung zu Gott. Und in solch einer Beziehung taucht das Wörtchen „Sie“ natürlich nicht auf. Nein, Gott hat uns das „Du“ schon lange angeboten. Christen glauben, dass Gott uns Menschen einst geschaffen hat, um mit ihm in solch einer persönlichen Beziehung zu leben. Das ist der Sinn des Lebens, sagen sie: das Leben in dieser Beziehung. Andere Dinge sind natürlich nicht unwichtig, aber das ist es, wozu wir geschaffen sind. Jeder von uns kann, wenn er denn will, mit Gott per Du sein. Gott ist kein ferner Gott, der das Universum und die Erde geschaffen hat und uns seitdem den Rücken zukehrt. Nein, Gott ist im höchsten Maße an uns interessiert. Und er wünscht sich nichts sehnlicher, als mit jedem von uns in einer vertrauensvollen Beziehung zu sein. Die besteht im gegenseitigen Miteinander, im regelmäßigen Austausch, in wechselseitigen Gesprächen im Alltag – das macht sie aus.

Das ist im großen Supermarkt der Religionen übrigens einzigartig. Von einer persönlichen Beziehung ist allenfalls im Islam die Rede, aber auch hier ist das Verständnis ein völlig anderes: Einem Moslem steht nicht Allah als Ansprechpartner gegenüber, sondern das Gesetz des Korans und der Überlieferung. Mit diesem Gesetz muss er sich arrangieren, will er die Chance erhöhen, Allahs Barmherzigkeit zu erlangen. Eine Beziehung zu Allah, die „bereinigt“ oder gar „versöhnt“ werden kann, kennen Muslime nicht. Sie müssen ihre Beziehung zum Gesetz bereinigen, d.h., sie müssen tun, was es sagt, oder wiedergutmachen, wenn sie das Gesetz gebrochen haben.

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