Gastfreundschaft!? Die Versuchung einer Kosten-Nutzen Rechnung

Busfahrt nach Berlin?                 12 Euro
Hostel-Zimmer im 10-Bett Schlafsaal?  20 Euro
Neue Lebenswelt kennenlernen?         Unbezahlbar
Um Entscheidungen zu treffen, verwandeln wir unsere Welt oft in Geldwerte. Egal ob Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft - überall wird gemessen und kalkuliert, um die beste Wahl zu treffen. Auch Zwischenmenschlichkeit und Gastfreundschaft können schnell der Abwägung von Kosten und Nutzen unterworfen werden. Ein Plädoyer für das Unfassbare, das die Menschlichkeit ausmacht.

Gastfreundschaft 600

Es ist Anfang Oktober, zehn Tage vor Vorlesungsbeginn, und ich habe soeben einen Studienplatz an der Universität Bonn bekommen. Finanzielle Abwägungen werden getroffen: Transporter für 170 Euro mieten? Oder doch lieber Bahn fahren, für 35 Euro, dafür aber nur mit 2 Koffern? Vor allem freue ich mich aber auf das neue Leben in der neuen Stadt! Bis ich nach 20 Anfragen, 2 Tagen voller Absagen und 5 Artikeln über Wohnungsknappheit realisiere, dass Zimmer in Bonn absolute Mangelware sind.

Am Abend vor meiner Abreise erreiche ich eine WG, die ihre Couch für ein paar Tage als Zwischenlager anbietet – erste Erleichterung. Zunächst kann ich die 20 Euro Hostelgebühr pro Nacht sparen. Und viel mehr noch: Die ersten Tage hier werden für mich zum Ausgangspunkt meiner sozialen Aktivitäten in der Stadt: Zirkeltraining, Salsakurs, WG-Partys. All das beginnt mit einer Couch, die herzliche Menschen wie Cristin mir eine Woche lang zur Verfügung stellen. Aus der Begegnung wird Freundschaft. Für mich als Zugezogener unbezahlbar.

Cristin stellt das Wohnzimmer ihrer WG seit 2010 für Besucher in Bonn zu Verfügung. Vor fünf Jahren war sie selber auf Wohnungssuche und hat als Couchsurferin gute Erfahrungen gemacht. „Ich finde es total faszinierend, so eine überschwängliche und übertriebene Gastfreundschaft bei anderen zu sehen“, sagt die 25-jährige Studentin zu ihrer Motivation. Beispielsweise hätten sich ihre kurdischen Nachbarn in Bochum sehr gut um sie gekümmert, als sie in die Stadt gezogen sei. Die Studentin war von den Erfahrungen begeistert und hat sich gesagt: „Ich will auch so sein.“  

Als Aufwand sieht sie das kostenlose Wohnzimmer für Gäste nicht: „Es muss nur jemand zu Hause sein und die Tür aufmachen.“ Nur die Abstimmung mit den sechs weiteren Mitbewohnern sei manchmal nicht so leicht. Geld für eine Unterkunft zu nehmen kommt für die 25-Jährige nicht in Frage: „Ich will Menschen die Chance bieten, auch ohne Kohle zu reisen oder irgendwo zu pennen.“

Beim Couchsurfen gehe es auch darum, andere Menschen kennenzulernen. Anstrengend könne es natürlich auch mal werden, beispielsweise, wenn Gäste das Angebot schamlos ausnutzen. Manchmal müsse man auch mit Besuchern reden, bei denen der Gesprächsstoff schnell ausgeht. Solche Probleme seien jedoch die Ausnahme, sagt Cristin, deren Einstellung grundlegend positiv ist: „Die meisten Leute sind sehr offen und ich habe schon ziemlich gute Freunde auf diese Weise kennengelernt.“  

Freie Gastfreundschaft Einzelner kann erfrischend und unerwartet sein. Sie ist oft nicht mit Geld aufzuwiegen. Der Gast wird zum Beschenkten, der das Erhaltene nicht erstatten kann. Auf eine gewisse Art entspricht die Gastfreundschaft damit so gar nicht unserem Stolz und Drang nach (finanzieller) Unabhängigkeit. Sind wir aber bereit, uns in diese Situation zu begeben, entsteht Offenheit und Freude in der Begegnung mit anderen Menschen, können wir Neues und Unbekanntes entdecken. All diese Werte können wir jedoch nicht quantifizieren oder in Excel-Grafiken darstellen.

Auch bei der Gastfreundschaft auf nationaler Ebene spielen Berechnungen und Kalkül für viele eine Rolle. In Deutschland wird die Frage „Können wir uns das überhaupt leisten?“ im Kontext der Flüchtlingsfrage vielfach diskutiert. Die vom Ifo-Institut berechneten Kosten von bis zu 21 Milliarden Euro für 1,1 Millionen Flüchtlingen im Jahr 2015 werden schnell gegen den gesellschaftlichen Nutzen aufgewogen: Fachkräftemangel und demographischem Altern entgegenwirken, langfristig Steuereinnahmen erhöhen, Renten sichern, Deutschlands Image in der Welt stärken etc.

gastfreundschaft 2 600©electriceye – Fotolia.com„All diese sozio-ökonomischen Gründe gibt es zwar“, sagt Annika, die seit diesem Jahr in einer Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Hamburg arbeitet. „Sie sind mir aber erstmal unwichtig.“ Sie fragt. „Was würde ich mir selber in einer Notsituation erhoffen? Bin ich bereit, der Person zu helfen?“ Mögliche Schwierigkeiten in der Integration sind für sie wichtige, aber sekundäre Einwände, die nicht die grundlegende Motivation verändern. Für die 26-Jährige geht es bei Gastfreundschaft um die „Ausübung von Nächstenliebe, ohne daran zu denken, was es mich kostet“.

Offenherzig dem Nächsten seine Gastfreundschaft anzubieten, ohne den sozialen Nutzen zu kalkulieren – das entspricht auch der Botschaft von Jesus Christus. Als er selbst bei einem Mann der gesellschaftlichen Elite zum Essen eingeladen war, bemerkte er provokant: „Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machst, so lade weder deine Freunde noch deine Brüder noch deine Verwandten noch reiche Nachbarn ein, damit sie dich nicht etwa wieder einladen und dir vergolten wird.

Sondern „wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein, dann wirst du selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten“ (Lukas 14,12 f.). So handelt auch Gott. Er lädt die zu sich ein, die ihm nichts zu geben haben. Uns lädt er ein. Und er beschenkt seine Gäste. Für das ewige Leben bei Gott wird häufig das Bild eines fröhlichen Festmahls verwendet, bei dem Gott der Gastgeber ist. Das hat Einfluss auf das alltägliche Leben. Jegliches Aufrechnen ist aus christlicher Perspektive und im Vergleich zu Gottes Güte in gewisser Weise Kleinkrämerei.

Die Hochrechnung von Kosten und Nutzen hat zwar ihren berechtigten Platz in guter Finanzplanung, doch verpasst sie es, viele Gesichtspunkte zu erfassen, die das menschliche Leben ausmachen. Wenn wir sie auf alle Lebensbereiche anwenden, engt sie unser Denken in utilitaristischer Weise ein. Während die Verfilmung des Kleinen Prinzen dies aktuell erfrischend pointiert auf die Kinoleinwand zeichnet, spricht Jesus Christus diese Botschaft seit 2000 Jahren nicht minder herausfordernd zu den Menschen. Zu teilen und die Grundbedürfnisse des Gastes zu versorgen, schafft neue Beziehungen, Dankbarkeit und unerwartete Freude. Dies alles kann man zwar nicht berechnen, aber ist es nicht oft mehr wert als der Preis eines Pullovers oder eines Kinobesuchs?

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