Alle(s) perfekt?

„The winner takes it all, the loser is standing small“. Wie es schon im Lied von ABBA heißt, erinnern wir uns nach einer Prüfung oder einem Wettkampf oft an den Sieger. Aber wer weiß noch den Namen des Zweiten oder Dritten? Häufig zählt nur die Bestleistung. Wer weniger erreicht, wird oft schnell vergessen.

Wir wollen, dass man sich an uns erinnert. Wir wollen, dass andere unsere Leistung und damit uns anerkennen. Anerkennung gibt jedem von uns das Gefühl, dass er wertgeschätzt wird. Es spornt an, noch besser zu werden und mehr zu leisten. Sei es im Beruf oder im Studium: in unserer Gesellschaft werden Bestleistungen erwartet und gefördert.

Ohne herausragende Leistungen wären viele Fortschritte nicht möglich gewesen. Große Wissenschaftler haben unseren Wissenshorizont sehr erweitert. Die Grenze zwischen Bestleistung und Überforderung ist aber schmal. Viele setzen sich unter Druck, immer in allem perfekt sein zu wollen und scheitern an ihren eigenen Erwartungen. Andere sind sehr gut, aber erleben bald, dass niemand, seien es Eltern oder Freunde, ihre Leistungen wahrnimmt und anerkennt. Ohne diese Anerkennung verlieren sie den Ansporn und sind damit zufrieden, eine schlechte oder gar keine Leistung zu erbringen. Ihr Selbstbewusstsein leidet unter der Frage, warum die anderen die eigene Leistung nicht wahrnehmen. War ich so schlecht? Bin ich es nicht wert, dass man meine gute Arbeit wertschätzt? Wenn der andere meine Arbeit schon nicht anerkennt, hat er mich dann überhaupt gern? Solche Fragen können leicht
Selbstzweifel auslösen.

Gleichzeitig steigen die Leistungserwartungen an uns: In vielen Stellenanzeigen ist zu lesen: „Erwartet werden: ein sehr guter Abschluss, mehrjährige Berufserfahrung, sehr gute Kommunikationsfähigkeiten, große Belastbarkeit und Flexibilität, etc.“. Zusätzlich wird selbstredend ein souveränes Auftreten und ehrenamtliche Tätigkeiten gewünscht. Aber bei all’ denen von uns, die keine notorischen Überflieger sind, kann leicht der Eindruck entstehen, dass die Anforderungen für derartige Stellenangebote niemals erfüllt werden können.

Diese Anforderungen des Arbeitsmarktes machen sich mittlerweile auch im universitären Alltag bemerkbar. Vorbei ist die Zeit, als das Studium klischeehaft als sorglose und leichte Zeit betrachtet wurde. Die Studiengänge sind breiter gefächert und zum Teil schwieriger geworden. Neben den fachlichen Kompetenzen müssen nun auch Fähigkeiten in Schlüsselkompetenzen nachgewiesen werden. An der Uni Göttingen kann oder muss man (je nach Studiengang) Kurse an der ZESS wählen. Sich weiterzubilden kann Spaß machen (ich selbst frische neben meinem Studium mein Französisch auf), aber es kann auch eine große Belastung darstellen; etwa wenn der Stundenplan schon voll genug iat. Teilweise stehen von Montag bis Freitag von  8:00 bis 18:00 Uhr Vorlesungen auf dem Programm. Dass das auf Kosten des Lernens und  der Freizeitgestaltung geht, ist  leicht nachvollziehbar. Zwar ist die Zahl der Semsterwochenstunden nach einem Bericht des Spiegels (04/10) generell durch die Bologna-Reform kaum gestiegen. Jedoch arbeiten viele Studenten zusätzlich noch neben dem Studium und kommen auf eine 44-Stunden-Woche. Ein Drittel arbeitet sogar über 50 Stunden.

Gepaart mit den höheren Anforderungen und dem Gefühl, das Studium möglichst schnell perfekt abschließen zu müssen, fühlen sich viele Studenten überfordert und ausgebrannt. Jeder Siebte klagt über depressive Verstimmungen, wie eine Umfrage der Technischen Krankenkasse von 2008 ergab. Viele suchen Hilfe bei Beratungsstellen und Psychotherapeuten. Auch in Göttingen gibt es entsprechende Angebote (siehe Infokasten). Sie können helfen, die eigene Situation zu stabilisieren, sich auf die wichtigsten Fächer zu konzentrieren und seine Zeit besser einzuteilen.

Andere Studenten wagen den Schritt zu einer Beratung oder Therapie jedoch nicht. Sie fürchten einerseits das Eingeständnis, nicht allein klar zu kommen. Andererseits fürchten sie Probleme im Beruf. Unter Umständen kann eine vorhergegangene Therapie bei Verbeamtung von Lehrern oder Juristen zu Schwierigkeiten führen. In Göttingen ist dies aber kein Problem, weil die Therapie- stunden nicht als Therapie, sondern als Studienberatung abgerechnet werden. Das Burnout-Syndrom hat die Uni erreicht, wie der Spiegel es ausdrückt. Nicht nur die Uni, sondern auch die Schulen. Unter anderem durch das in einigen Bundesländern eingeführte Abitur nach acht Jahren fühlen sich auch schon viele Schüler überfordert und leiden seelisch und körperlich unter dem Druck. Einige Studenten greifen da zu anderer Hilfe: in Form von Tabletten oder Alkohol. 10% der verschriebenen Mittel sind Psychopharmaka, mehr als doppelt so viel wie bei gleichaltrigen Erwerbstätigen.

Bleiben Christen von solchen Problemen verschont? Werden sie durch ihren Glauben von solche Schwierigkeiten bewahrt? Natürlich schützt der Glaube nicht automatisch vor allen Hindernissen, die im Leben auftauchen. Auch als gläubiger Mensch kann man an seine Grenzen kommen. Jedoch bleibt man nicht allein mit dem Druck, konstant gute Leistungen bringen zu müssen. Im Gebet und im Bibellesen erfährt man Gottes Zuspruch und Begleitung. Dieses Gefühl haben viele Menschen in der Bibel. Der Psalmschreiber lobt in Psalm 68, 19 Gott mit folgenden Worten: “Gepriesen sei der Herr! Tag für Tag trägt er unsere Last. Gott ist unsere Rettung.“ Gott kann ich meine Sorgen anvertrauen. Bei ihm muss ich nicht perfekt sein und 100%-ige Leistung bringen. Er nimmt mich an, wie ich bin und gibt mir Kraft, mit dem Druck fertig zu werden.

Wichtig ist auch, dass man sich selbst gut kennt und sich selbst gut leiden kann. Nicht umsonst heißt es in Lev. 19, 18: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Jeder Mensch hat Stärken und Schwächen. Selbst Menschen, die für uns perfekt erscheinen und denen alles zu gelingen scheint, sind nicht vollkommen. Sich mit ihnen zu vergleichen ist daher sinnlos und schadet uns nur selbst. Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin und weiß, wo meine Grenzen liegen, kann ich annehmen, dass ich nicht alles sofort perfekt erledigen muss. Ich kann mein Bestes tun, aber auch annehmen, wenn es mal nicht so gut klappt. Mein Wert liegt nicht darin, dass ich alles im Studium/im Beruf/im Privatleben erreiche. Sondern ich selbst bin es wert, geliebt und anerkannt zu werden. Von anderen und mir selbst auch. Dann kann ich dankend mit Jesaja sagen: “Denn du bist eine Feste gewesen dem Geringen, eine Stärke dem Armen in Bedrängnis, eine Zuflucht vor dem Ungewitter, ein Schatten vor der Hitze.“

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