Germanistik und Glaube

Unser Glaube prägt unser Denken, Handeln und Fühlen, kurz: Unser ganzes Leben. Aber wie ist das eigentlich mit unserem professionellen Leben, mit unserem Leben mit der Wissenschaft und als Wissenschaftler? Welchen Platz hat der Glaube hier und hat er überhaupt einen? Ist die Wissenschaft ein gleichsam bloß ihren eigenen Glaubenssätzen unterworfener Lebensbereich, oder gibt es Möglichkeiten, den christlichen Glauben sinnvoll mit der Idendität als Wissenschaftler zu verbinden? Lea studiert Germanistik auf Master und hat sich mit diesen Fragen beschäftigt.

«Und was studierst du?»
«Germanistik.»
«Auf Lehramt?»
«Nein. (Wahlweise: Alles, nur das nicht.)»
«Aha. Und was willst du damit werden?»
«Seufz...»
Hier habe ich mir eine Reihe von Möglichkeiten zurecht gelegt, die ich je nach Lust und Laune ausprobiere:
«Taxifahrer.»
«Irgendwas Cooles.»
«Es gibt kein definiertes Berufsbild. Ich
interessiere mich für unterschiedliche Bereiche.»


Durchschnittlich ein- bis zweimal im Monat finde ich mich in einem Gespräch wieder, das nahezu wortwörtlich so abläuft. Je nach dem, wie interessiert und/oder unverblümt mein Gesprächspartner sich gibt, kommt oft im Laufe der Unterhaltung noch die Frage dazu: Wozu braucht man eigentlich Germanisten? (Wozu steckt der Staat so viel Geld in eure Ausbildung? Was lernt/könnt ihr eigentlich? Welcher Arbeitgeber braucht euch eigentlich?) Auch dafür habe ich meine vorformulierten Sätze auf Lager.

Ja, ich bin manchmal genervt davon. Aber nicht, weil ich was gegen Smalltalk hätte.Sondern weil die Fragen berechtigt sind und weil diese Fragen nur in meiner Smalltalk-Version schon für mich geklärt sind. Es sind im Grunde Fragen nach den Prioritäten, die ich für mein Leben setze. Da ich mir mit meinem Studienfach noch keinen Beruf ausgesucht habe, muss ich mich fragen, was ich nach dem Abschluss erreichen will. Geld kann es nicht sein, dafür hätte ich etwas anderes studieren müssen. Andere Werte?

Das, was ich glaube, bestimmt die Prioritäten, die ich für mein Leben setze. Ich kann mein Studium nicht einfach ausklammern. Nach welchen Werten strebe ich? Und was bedeutet das für mich in meinem Fach?

Weil ich Christ bin, baut mein Leben auf Jesus Christus. Die Werte, die er mir mitgegeben hat, sind die Liebe zu Gott und zu Menschen. Gottes Liebe zu mir ist die Grundlage meines Lebens und der höchste Wert, das Ziel meines Lebens ist die Liebe zu Gott und für Menschen. Das sollte im Studium genauso wie später im Beruf eine Rolle spielen.

Was haben die Germanistik und mein Glaube miteinander zu tun? Was ist das eigentlich für eine Frage? Sind das nicht im Grunde zwei verschiedene Sphären, die Wissenschaft und mein privater Glaube? Warum soll es da einen Zusammenhang geben?

Als Germanistin beschäftige ich mich mit (deutschsprachiger) Kultur, dabei vor allem mit Sprache und Literatur. Viele Jahrhunderte lang bestand die Beschäftigung mit Literatur vor allem darin, sie nach moralischen und ästhetischen Normen zu bewerten. Doch die Wissenschaft arbeitet heute eher analytisch und in der Kunst herrscht nicht mal mehr ansatzweise ein Konsens darüber, was „gut“ oder als Kunst zu bewerten sei. Ist es noch Kunst, wenn ein Dichter die Aufstellung einer Fußballmannschaft in seinem Gedichtband abdruckt? „Ist das Kunst oder kann das weg?“ist nicht selten der ratlose Kommentar zu ähnlich schwer einschätzbaren Gegenständen. Unsere Aufgabe als Germanisten ist es da eher, die Kunst zu beschreiben und zu versuchen, Verständniszugänge zu finden. Natürlich darf man die Debatte um (gute) Kunst nicht ignorieren, aber man sollte Kritik und Wissenschaft auseinanderhalten: Kritik bewertet, Wissenschaft beschreibt und analysiert. Das bedeutet zum Beispiel auch, dass ich in meiner Rolle als Wissenschaftlerin Literatur weder ästhetisch noch moralisch bewerten sollte. Ist also meine Wissenschaft ein Bereich, mit dem mein Glaube nichts zu tun hat?

Kunst und Menschen stehen nie isoliert voneinander. Selbst wenn ich mich in meiner Rolle als Wissenschaftlerin mit Kunst beschäftige, wirkt sie auch auf mich als Menschen ein und stellt mit den Konflikten, die in ihr ausgetragen werden, auch Fragen an mich. Lessings Ringparabel zum Beispiel fragt nach der Wahrheit und wie man sie findet. Als Wissenschaftlerin analysiere ich das Stück, als Mensch aber werde ich von der Frage nach der Wahrheit herausgefordert.

Das Christentum hat unsere Kultur wie kaum etwas anderes geprägt und damit wird es auch für die germanistische Forschung relevant. Beispielsweise hatte ich im letzten Semester ein sprachwissenschaftliches Seminar, dessen Gegenstand der Zusammenhang von Religion und Sprache in der Zeit der Reformation war. Also: Wie wirkt sich die Aufspaltung der Kirchen in zwei oder mehr Lager auf den Sprachgebrauch aus? Und wie wird Sprache gebraucht, um die Konfessionen voneinander abzugrenzen? In den Bereich der Semiotik geht es, wenn man etwas philosophischer fragt, wie grundlegend Sprache an sich ist für die Möglichkeit zu denken, so etwas wie Transzendenz zu denken oder zu begreifen. Die Bibel und die religiöse Kultur von Jahrhunderten sind in unsere Literatur und Kultur eingegangen. Texte setzen sich oft damit auseinander, und um dies zu verstehen, ist es nötig, den Diskurs zu kennen. Die Fragen sind hier zum Beispiel: Welche christlichen Werte und Symbole verwendet der Text und wie sind sie verwoben? Wie wird das Christentum bewertet?

In der Wissenschaft kann ich also sicherlich dazu beitragen, Zugänge zu Literatur zu schaffen, die sich mit christlichen Inhalten auseinandersetzt. Als christliche Wissenschaftlerin kann ich die Debatte durch eigene Perspektiven bereichern.

Ich habe leider (noch) keine endgültige Antwort auf die Frage, was mein Glaube mit meiner Wissenschaft zu tun hat. Als Wissenschaftlerin kann ich christliche Elemente in Kultur und Sprache verstehen, als Mensch in der Wissenschaft kann ich versuchen, die wissenschaftliche Umgebung mit Fairness und Freundlichkeit zu prägen statt im Konkurrenzkampf teilzunehmen. Ich kann Kunst und Kultur lieben und sie trotzdem immer den Menschen unterordnen, die Gott unendlich viel wertvoller sind.

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