Versöhnung ist ein Wunder

Denise Uwimana Reinhardt hat den Genozid an den Tutsi in Ruanda 1994 überlebt.  Mehrere Familienangehörige, auch ihr Mann, wurden von Milizen getötet. Sie überstand  mehrere Angriffe auf ihr Haus unbeschadet. Während dieser Zeit hatte sie immer wieder den Schutz und den Trost Gottes erfahren. Weil sie gerettet worden war, wollte sie diesen Trost und vielfältige Hilfe an andere Überlebende weitergeben. Sie und ihr Mann Dr. Wolfgang Reinhardt (Kassel) arbeiten heute vor allem mit der einheimischen Organisation „EJO HEZA“ in Ruanda zusammen, die den Überlebenden materiell und seelsorgerlich hilft.

Herr und Frau Reinhardt haben sich durch die Unterstützung der Überlebenden kennengelernt. Nach einem Bericht über ihre Erlebnisse erzählt Denise, wie die Arbeit der beiden heute aussieht: „In Deutschland arbeiten wir mit dem MFB e.V. zusammen. In Ruanda unterstützen wir besonders eine Kooperative, d.h. eine Gruppe von Witwen und Waisen, „Iriba Shalom“ („Quelle des Friedens“). Sie sind Überlebende des Völkermordes. Viele sind traumatisiert und HIV-infiziert, weil viele Frauen während des Völkermordes vergewaltigt wurden. […] Insgesamt gehören über 300 Menschen, die in 120 Familien von Witwen leben, zu der Kooperative. […]“

Gegründet wurde sie von einer älteren Witwe, Consoletia, aus Mukoma. Sie besuchte Denise Reinhardt 2000 in der Hauptstadt Kigali.

„Als ich damals in Kigali, der Hauptstadt, war, habe ich in der Zementfabrik gearbeitet. Consoletia hat mich besucht. Sie hat gesehen, wie die anderen Witwen zusammenkamen. Sie trauerten zusammen und halfen einander. Sie redeten über ihre Erfahrungen. Denn die Witwen haben sich gesagt: ‚Wir sind traumatisiert. Wie können wir uns gegenseitig helfen?‘ Als Consoletia nach Mukoma zurückgekommen ist, hat sie alle Witwen und Waisen auf ihrem Grundstück zusammengerufen. ‚Bitte kommt. Wir können uns auch gemeinsam versammeln. Wir können uns von unseren Erfahrungen erzählen und uns unterstützen.‘  Dann haben sie angefangen ihre Geschichten zu erzählen, zu trauern, zu beten. Die Witwen und Waisen waren dort 11 Jahre lang allein, ohne Hilfe von außen.“

Denise unterstützte die anderen Überlebenden als Seelsorgerin und Sozialarbeiterin erst auf ehrenamtlicher Basis, später wird es ihr Beruf. Seit 2008 ist sie mit Wolfgang Reinhardt verheiratet, der für den MFB in Ruanda arbeitet. Die Hilfe für die Überlebenden trägt immer wieder Früchte.

„Das Schönste ist, dass die Witwen sich verändert haben. Am Anfang waren sie alle apathisch. Jetzt haben sie Ideen, etwas gemeinsam zu tun. Sie wollen etwas erreichen.“, erklärt  Denise. Sie zeigt ein Foto: „Auf diesem Bild sieht man eine Frau. Sie ist 72 Jahre alt. Nach dem Völkermord war sie traumatisiert. Sie hatte keine Lust etwas zu tun. […]. Sie hatte ihre ganze Familie verloren. Alles war verbrannt. Als ich sie das erste Mal getroffen habe, wusste sie nicht, wo sie wohnen sollte. Durch  die gegenseitige Ermutigung und die Gebete merkte sie dann: ‚Ich habe jemanden, der mich liebt. Gott hat etwas für mich. Er hat mir noch einmal eine Tochter geschenkt.‘  Sie hatte wieder Mut. Als ich diese Frau besucht habe, hat sie mir in ihrem Haus gezeigt, was sie von ihren Feldern geerntet hatte. Sie hatte auch eine Kuh im Haus [in Ruanda ein sehr wertvoller Besitz; Anm. d. Red.]. Das hat mir Kraft gegeben. Sie hat zu mir gesagt: ‚Schau, ich habe keinen Hunger mehr. Ich kann etwas auf meinem Feld tun.‘ Das ist die Freude am Leben, anderen etwas zu schenken. Neue Liebe und neue Hoffnung. Es gibt anderswo aber noch viel zu tun. Man sieht die Wahrheit auf den umliegenden Feldern.“

iribaWolfgang Reinhardt ergänzt: „Es gibt Kühe, Landwirtschaft. Ein Projekt mit Strickmaschinen hat schon begonnen. Auch Häuser sollen neugebaut werden für die Häuser, die im Erdbeben 2008 zerstört wurden. […] Es sind immer wieder Projekte zur Selbsthilfe. Manche Witwen stellen kunsthandwerkliche Dinge wie Schmuck, Schalen, Elefanten und Giraffen, wunderschöne Karten aus Bananenblättern her, die ihnen ein Einkommen verschaffen sollen. Dazu brauchen sie Abnehmer aus Deutschland. Studentengruppen könnten sie z.B. in größerer Menge vor Weihnachten bestellen und verkaufen.“

Eine weitere Säule der Hilfe ist die Versöhnungsarbeit der Kooperative „Never Again“.  Die Versöhnung von Opfern und Tätern fällt schwer, wenn man an die Gräuel denkt, die während des Massakers verübt wurden. Denise und Wolfgang Reinhardt erzählen:

 „Viele Witwen haben ihre Kinder verloren. Sie wurden gezwungen, ihre Kinder herzugeben. Sie mussten ihren Kopf auf einen Baumstamm legen. Sie wurden vor den Augen der Mütter getötet.“ Die Frauen seien heute noch schwer traumatisiert.   

Die Versöhnungsarbeit in der Kooperative selbst und die Schwierigkeiten, die sich ergeben, schildert Denise Reinhardt mit folgenden Worten, die mir noch lange im Gedächtnis bleiben:                        
                                                                                                                         
„Es ist eine Gemeinschaft, wo die Täter und Opfer zusammenkommen. Es sind Mörder, die im Gefängnis waren und nun freikommen und ihre Schuld bekannt haben. Nun helfen sie den Überlebenden und arbeiten zusammen mit ihnen. Für uns Überlebende war es sehr schwierig, mit diesen Leuten zusammen zu treffen. Das war nicht einfach. Es war eine Herausforderung, zusammen mit ihnen zu wohnen. Deshalb sind wir zusammengekommen, um zu beten und um uns zu stärken. Dann hat Gott einigen die Kraft gegeben zu vergeben. Dann konnten sie sich versöhnen. Andere machten das nicht. […] ‚Warum soll ich mich mit diesen Mördern versöhnen? Ich habe meine eigenen Probleme.‘  Wir können das auch gut verstehen. Versöhnung ist eine Gnade, das kann nicht erzwungen werden. Versöhnung ist ein Wunder.“

Trotz der Schwierigkeiten sagt Denise abschließend über ihre Arbeit: „Es ist ein Segen und eine Freude, den Überlebenden des Völkermords eine Zukunft und eine Hoffnung  zu geben. Wir sind dankbar für alle Gebete, Liebe, Unterstützung und Besuche. So werdet ihr Teil unserer Familie in Iriba Shalom.“

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Bedacht 11Versöhnung. Das ist ein großes Wort und für jeden von uns zu jeder Zeit eine Herausforderung. Wie kann das gehen – Versöhnt leben? Wir begeben uns auf die Spurensuche.

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