Stets bemüht. Wie ich versuchte, eine gute Christin zu werden.
Die wenigsten Menschen beabsichtigen mit ihrem Handeln etwas Böses zu tun. Wir alle wollen doch die Guten sein. Aber wer oder was bestimmt eigentlich in unserem Leben, was gut und schlecht ist? Wir leben in einer Zeit der unbegrenzten Möglichkeiten, haben Freiheiten, von denen viele unserer Vorfahren nur träumen konnten. Für mich bedeutet diese Freiheit aber auch die Verantwortung, meine eigene Meinung über Richtig und Falsch zu bilden.
Tiefere Gedanken über „richtiges“ und „gutes“ Handeln machte ich mir zum ersten Mal mit 16 Jahren. Damals begann ich zu hinterfragen, ob es Gott gibt. Ich war zwar konfirmiert und ging ab und zu in die Kirche, aber ich konnte nicht verstehen, wie ein Gott – sollte es ihn geben – das Leid in der Welt zulassen konnte. Vor allem konnte ich nicht akzeptieren, dass sich Menschen durch ihr Verhalten gegenseitig verletzen. Das hatte ich oft genug im eigenen Leben erfahren. Ich selbst fühlte mich verlassen, ungerecht behandelt und machtlos. So kam es, dass ich eines Nachts in meinem Bett lag und zum Himmel schrie: „Es gibt keinen Gott!“ – und genau in diesem Moment erkannte und spürte ich, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Ich konnte die Gegenwart Gottes und seine Allmacht regelrecht fühlen. Das war einer der Wendepunkte in meinem Leben.
Nach diesem Erlebnis fing ich an, in der Bibel zu lesen. Ich wollte mehr über diesen Gott erfahren. Ich fand jedoch vor allem Gebote darüber, wie man als „guter Christ“ zu leben hatte. Ich las die Bergpredigt, in welcher Jesus den Menschen aufzeigt, wie man nach Gottes Willen lebt, z.B. dass man seine Feinde lieben soll. Mir leuchtete sofort ein, wie gut diese Vorschriften für das Zusammenleben von Menschen sind. Ich war der festen Überzeugung, dass die Welt ein viel besserer Ort wäre, wenn alle sich an diese Gesetze halten würden. Mir wurde aber auch klar, wie weit ich selbst davon entfernt war, diesen hohen Anspruch zu erfüllen. Das war ein ziemlich harter Moment für mich, denn bis dahin hatte ich mich im Vergleich mit anderen Menschen immer als sehr rechtschaffen empfunden und mich für einen ziemlich guten Menschen gehalten.
Ich wollte Gott gefallen und beschloss, seine Gebote einzuhalten. Zum Beispiel schrieb ich mir in meinen Hausaufgabenplaner den Bibelvers: „Verurteilt nicht andere, damit Gott nicht euch verurteilt! Denn euer Urteil wird auf euch zurückfallen, und ihr werdet mit demselben Maß gemessen werden, das ihr bei anderen anlegt“ (aus der Bergpredigt, Matthäus 7, 1 – 2). Mir war nämlich aufgefallen, dass ich gern mit meinen Freundinnen über andere Mitschüler herzog und über sie lästerte. Das wollte ich nicht mehr. Wie konnte ich erwarten, dass andere Menschen gut über mich redeten, wenn ich selbst hinter ihrem Rücken schlecht über sie sprach? Allein diese Erkenntnis und auch das häufige Lesen dieses Bibelverses in meinem Hausaufgabenplaner halfen mir, mein Verhalten zu verbessern. Aber immer wieder verzweifelte ich, weil ich in einem Pausengespräch wieder einen schnippischen und abfälligen Kommentar über eine Klassenkameradin gemacht hatte, nur um die Lacher einmal auf meiner Seite zu haben.
Von anderen Christen erfuhr ich dann, dass das Ziel nicht sei, alle Gebote der Bibel zu erfüllen, sondern dass Jesus für unsere Sünden am Kreuz gestorben sei. Sie erklärten mir, dass ich Gott um Vergebung für meine Fehler bitten dürfe. Vor dem Schlafengehen erlegte ich es mir also als tägliche Pflichtübung auf, gewissenhaft meinen kompletten Tag Revue passieren zu lassen, um ja nichts zu vergessen, für das ich um Vergebung bitten müsste. So ging es dann einige Zeit: Ich war fleißig bemüht, alles richtig zu machen, es folgte die Erkenntnis, es nicht geschafft zu haben, und die Bitte um Vergebung – immer und immer wieder. Manchmal gelang es mir gut und ich merkte tatsächlich, dass ich einige Dinge besser machte – dann wieder kamen Zeiten, in denen ich mich schämte, über meinen Tag nachzudenken, weil ich mein Versagen nicht vor Gott zugeben wollte. So langsam verlor ich die Lust daran, in der Bibel zu lesen und Gott Tag für Tag um Vergebung zu bitten. Schließlich wollte ich nicht immer wieder hören, was ich alles falsch machte.
Wenn ich ehrlich bin, war ich auch enttäuscht von Gott. So viele Christen hatten mir von Gottes großer Liebe erzählt. Die große Freude kam in mir dennoch nicht auf. Es fühlte sich eher so an, als würde Gott mich ständig daran erinnern, wie falsch und schlecht ich bin. Ich wusste, dass ich ihm viel zu verdanken hatte, und ich hatte auch die Hoffnung, dass mein Leben nach dem Tod nicht endgültig zu Ende ist – aber ich sehnte mich danach, so geliebt zu werden, wie ich bin. Das hatte ich immer wieder gehört, aber langsam fragte ich mich, ob dieser Ausspruch eine Lüge sei, die irgendwelche Christen auf der Straße erzählten, um Menschen in die Kirche zu locken.
Immer öfter brach ich in Tränen aus, weil ich das Gefühl hatte, eine schlechte Christin zu sein. Ich fühlte mich nun auch von anderen Christen dafür verurteilt, dass ich es immer noch nicht schaffte, in meinem Leben vorbildlich alle Gebote Gottes zu erfüllen. Zum Beispiel ging ich nicht jeden Sonntag in die Kirche, lebte unverheiratet mit meinem Freund zusammen und betrank mich manchmal am Wochenende. Das waren zwar alles Dinge, die in unserer Gesellschaft heute normal sind – wenn nicht sogar gefordert werden –, aber mein nagendes Gewissen konnte ich damit nicht beruhigen. Ich hatte den Eindruck, dass Gott und auch andere Christen von mir erwarteten, anders zu leben.
Es war eine kurze Stelle aus der Bibel, die mich eines Tages an mein eigenes Leben erinnerte. Sie stammt aus einem Brief, den der Apostel Paulus einst an die erste Gemeinde in Rom schrieb. Offenbar hatten sich dort schon die ersten Christen verzweifelt darüber den Kopf zerbrochen, welche Rolle Gottes Gebote und Verbote in ihrem Leben spielen sollten und wann man ein guter Christ war! Wie Paulus ihnen erklärte, waren Gottes Gesetze notwendig, um die Menschen auf ihre Fehler und falschen Taten hinzuweisen. Doch was aber, wenn man wie ich immer wieder aufs Neue daran scheiterte, Gottes Gesetze einzuhalten? Paulus hatte hierauf eine klare Antwort: „Das Gesetz ist also gut, weil es vom Geist Gottes kommt. Ich aber bin als Mensch wie in die Sklaverei verkauft und werde von der Sünde beherrscht. Ich begreife mich selbst nicht, denn ich möchte von ganzem Herzen tun, was gut ist, und tue es doch nicht. Stattdessen tue ich das, was ich eigentlich hasse. Ich weiß, dass mein Handeln falsch ist, und gebe damit zu, dass das Gesetz gut ist. Aber ich kann mir selbst nicht helfen, weil die Sünde in mir mich zum Bösen verleitet. Ich weiß, dass ich durch und durch verdorben bin, soweit es meine menschliche Natur betrifft. Denn immer wieder nehme ich mir das Gute vor, aber es gelingt mir nicht, es zu verwirklichen. Wenn ich Gutes tun will, tue ich es nicht. Und wenn ich versuche, das Böse zu vermeiden, tue ich es doch. […] Was bin ich doch für ein elender Mensch! Wer wird mich von diesem Leben befreien, das von der Sünde beherrscht wird? Gott sei Dank: Jesus Christus, unser Herr!“ (Römer 7, 14 – 19. 24, Neues Leben)
Vor einigen Monaten erkannte ich endlich, was Paulus mir und uns allen damit sagen wollte. Die Gesetze, also die Gebote und Verbote von Gott, sind gut, aber wir Menschen schaffen es nicht, uns ihnen vollkommen unterzuordnen und so zu leben, wie Gott es verlangt. Daher hat Gott uns eine Rettung aus diesem inneren Kampf geschickt: seinen einzigen Sohn Jesus Christus. Gott wurde in Jesus Mensch, damit er stellvertretend für uns alle Gebote erfüllen konnte. Er kam auf diese Erde und lebte so, wie es Gott gefällt. Und dann starb er am Kreuz: Obwohl er vollkommen unschuldig war, wurde er wie ein Verbrecher hingerichtet. In dem Moment, als er dort starb, legte Gott die Strafe, die wir für unsere Gesetzesübertretungen und Fehler verdient haben, auf ihn. Und das nur aus einem einzigen Grund – nämlich weil Gott uns liebt. Mit Jesu Tod am Kreuz hat Gott uns seine große Liebe zu uns gezeigt und uns alle von dem Zwang, die Gesetze erfüllen zu müssen, befreit. Das ist mit Gnade gemeint – das ist die wahre Freiheit, die wir in unserem Leben als Christen haben.
Mein ganzer Kampf darum, das Richtige zu tun, damit ich Gott gefalle, war also unnötig. Gott hat mich schon geliebt, als ich ihn noch gar nicht kannte, und durch Jesus hat er auch all meine zukünftigen Fehler schon vergeben. Erst als ich das begriff, konnte ich glauben, dass Gott mich bedingungslos liebt und mich nicht verurteilt, wenn ich Fehler mache. Zuvor hatte ich immer versucht, mir seine Liebe dadurch zu verdienen, dass ich das Richtige tat. Ich dachte, ich könnte es aus eigener Kraft schaffen. Aber Gott weiß, dass ich es nicht schaffe, seine Gebote zu halten, und liebt mich trotzdem. Das hat er mir darin gezeigt, dass er seinen eigenen Sohn für meine Fehler hat sterben lassen. Und diese Zusage der Vergebung ist unwiderruflich, daran glaube ich.
Heißt diese Freiheit, in der ich nun lebe, dass ich einfach tue, was ich will und es mir nun vollkommen egal ist, ob ich Gott und anderen Menschen mit meinem Verhalten schade? Nein, ganz im Gegenteil. Ich muss mir Gottes Liebe nicht dadurch verdienen, dass ich seine Gebote befolge, aber seine Liebe verändert mich. In dieser Liebe kann ich annehmen, dass er mir durch seine Gebote helfen möchte und sie mein Leben und das von anderen schützen. Jetzt sehe ich es eher so, wie Paulus es im 1. Korintherbrief 6, 12 schreibt: „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles ist nützlich. Alles ist mir erlaubt, aber ich will mich von nichts beherrschen lassen.“