Wurzeln bis in den Himmel?!

Was sind eigentlich Wurzeln und wofür brauchen wir sie? Ein Blick in die Pflanzenwelt legt nahe, dass es sich bei diesem Begriff um etwas zutiefst Lebensnotwendiges handelt. Etwas, das gleichzeitig Halt bietet und darüber hinaus mit Nahrung und Kraft versorgt. Auch Menschen brauchen einen solchen Halt in ihrem Leben und auch sie brauchen eine Quelle der Kraft. Doch worin können wir wurzeln?


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„Andere haben ein Studentenleben, ich studiere.“ Diesen Satz einer Kommilitonin können viele Studierende nur bestätigen. Durch alle Fächer hindurch wünschen sich junge Leute mehr Zeit für Freunde und Hobbies. Vielen Studenten fehlt die Kraft,  Prüfungen und Hausarbeiten im Dauerlauf zu bewältigen. Depressionen und Burnout nehmen unter jungen Leuten zu. Wir sind eine Generation, die ausgebrannt ist, bevor sie überhaupt begonnen hat zu arbeiten, resümiert Meredith Haaf (heult doch. Über eine Generation und ihre Luxusprobleme). Gleichzeitig stressen wir uns mit der Angst, falsche Entscheidungen zu treffen (oder schon getroffen zu haben), und sind mit den großen Fragen des Lebens oft heillos überfordert (ebd.). Es passt in dieses Bild, dass in den letzten Jahren unter Studierenden ein Anstieg an psychischen Leiden festgestellt wurde, oft auch begleitet durch gesteigerten Alkohol– oder Medikamentenkonsum.

Der nagende Selbstzweifel in allen Beziehungen scheint mehr und mehr zu einem Allgemeinbefund einer ganzen Generation zu werden. Doch wo liegen die Ursachen dafür? Ist die viel beschworene, sich immer schneller drehende Zeit, die wachsende Arbeitsbelastung und der steigende Konkurrenzdruck Grund für das allgemeine Unwohlsein oder liegt der Grund hierfür möglicherweise tiefer?

Viele der Ängste unserer Generation haben mit einer Unfähigkeit zu tun, zu wissen, welche Entscheidungen die richtigen sind. Nach welchen Kriterien sollen wir unser Leben ausrichten? Woher wissen wir eigentlich, was gut für uns ist und wieso können wir uns sicher sein, dass unsere eigene Arbeit sinnvoll ist? Diese tiefe Verunsicherung ist hausgemacht. Die liberale Anything–Goes–Mentalität hat eine tiefe und besorgniserregende Orientierungslosigkeit geschaffen. Eine Orientierungslosigkeit, die uns ohnmächtig macht zu handeln und unfähig, uns festzulegen. Das “Alles ist möglich” unserer Generation ist nicht nur ihre Chance, sondern auch ihr Fluch, stellt Nina Pauer (Wir haben keine Angst. Gruppentherapie einer Generation) insofern konsequent fest.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Allain de Bottom (Religion for Atheists). In seinen Augen bietet die moderne Gesellschaft keine Unterstützung in der Frage, was die Menschen mit ihrem Leben überhaupt anfangen könnten. Er identifiziert ein großes Bedürfnis nach Orientierung in unserer Gesellschaft. Hier bieten nach seiner Ansicht Religionen nachahmenswerte Konzepte. Der bekennende Atheist fordert dazu auf, religiöse Konzepte zu kopieren und eine säkulare Religion zu gründen, samt Tempelbauten.

Doch ein derartiges Religions–Plagiat kann kaum überzeugen. So nachvollziehbar der in de Bottoms Vorschlägen zum Ausdruck kommende Wunsch nach Orientierung ist, so skuril wirkt die Vorstellung von Menschen, die in pseudoreligiösen Tempeln inhaltslose, bloß formale Rituale pflegen um Orientierung zu erfahren. Derartige Vorschläge zeigen jedoch, wie drängend die Fragen nach Halt, Richtung und Ziel im eigenen Leben sind.

Die Doppelnatur der Wurzel

Es scheint also so, als bedürften Menschen fester Wurzeln. Doch was meinen wir, wenn wir von Wurzeln sprechen? Wurzeln haben nach dem hier vertretenen Verständnis eine Doppelnatur: Sie bilden ein festes Fundament und versorgen uns darüber hinaus mit Nahrung. Dieser Gedanke wird anschaulich, wenn wir einen Blick in die Natur werfen: Große, starke Bäume schlagen ihre Wurzeln tief ins Erdreich. Diese Wurzeln geben ihnen Stabilität und verankern sie im Boden. So können sie Stürmen trotzen. Gleichzeitig erhalten die Bäume über die Wurzeln die Nährstoffe, die sie benötigen. Auf diese Weise können sie Jahr für Jahr ihr frisches Grün entfalten. Selbst schwerste Angriffe können bei intakten Wurzeln überstanden werden: So können selbst aus abgesägten Baumstümpfen neue frische, kleine Triebe sprießen. Sind die Wurzeln gesund, so kommt das Leben mit neuer, wunderbarer Kraft wieder! So ist es auch bei uns: Unsere Wurzeln ermöglichen es uns, auch in schweren Zeiten neue Kraft zu schöpfen.Wurzeln geben uns Stabilität und versorgen uns mit Nahrung.

Stabilität, das bedeutet Festigkeit hinsichtlich unserer Orientierung im Leben. Orientierung darüber, was wir tun sollen.  Das Wissen hierum verleiht Sicherheit. Es ist das Fundament unseres Lebens. Aber eine Wurzel versorgt uns auch mit Nahrung.  Sie ist damit nicht bloß ein totes normatives Fundament, das allzu leicht die Gestalt einer fundamentalistischen Ideologie annehmen kann. Eine Wurzel steht in einer lebendigen Beziehung zu ihrem Wurzelgrund und versorgt uns nachhaltig mit der Kraft, die wir brauchen, um unseren Lebensbaum kräftig in den Himmel wachsen lassen zu können.

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Der Wurzel auf den Zahn gefühlt

Was könnte eine solche Wurzel sein? Bereits die Frage nach einem stabilen Fundament ist nicht einfach zu beantworten. Was kann Orientierung bieten? Woher wissen wir, was “gut” für uns ist und was nicht? Welche moralischen Leitlinien taugen für ein gutes und verantwortungsvolles Leben?

Die Antwort hierauf ist schwierig geworden. Das hat seinen Grund auch darin, dass hier nach sehr festen und die Zeit überdauernden Grundsätzen gefragt wird, wir in unserer Gesellschaft jedoch dazu tendieren, Wahrheit in einem relativistischen Sinn zu verstehen. Ewig gültige Wahrheiten sind kaum noch anerkannt. Damit werden auch die Maßstäbe zur Ermittlung des „Guten“ infrage gestellt – mit bedenklichen Folgen für unsere Stabilität. Denn: Wenn die Kriterien, anhand derer wir unseren nächsten Schritt bestimmen unsicher weden, geraten wir ins Wanken. Was bleibt, ist ein persönliches Für–Wahr–Halten, das aber der gegenteiligen Position denselben Anspruch an “Wahrheit” zubilligt. Damit wird unentscheidbar, was richtig oder falsch ist. Unentscheidbar, wie wir mit unserer Umwelt oder unserem Nächsten umgehen sollen. Aber wie wird dann entschieden?

Wer sich angesichts dieser Situation Hilfe von wissenschaftlicher Seite erhofft, wird enttäuscht werden (so zumindest die Auffassung der Autoren). Zwar gibt es in der Philosophie eine Vielzahl Versuche, die vernünftige Richtigkeit der einen oder anderen Vorstellung vom Guten zu beweisen, doch bislang ist dies nicht überzeugend gelungen. So resümiert der Philosoph Alasdair Mac-Intyre (Der Verlust der Tugend), dass alle Versuche gescheitert sind, auf Vernunft oder Natur begründete Normen zu formulieren. Er vergleicht den Glauben an Überzeugungen des Guten, die aus der Vernunft gewonnen werden können, mit dem Glauben an Hexen und Einhörnern. Mit diesem Befund könnten wir enden. Die Einsicht in die mangelnde rationale Ergründbarkeit des Guten könnte uns tief in die Sinn– und Orientierungslosigkeit zurückstoßen.

Doch bevor wir verzweifeln, sollten wir einen Moment auf den Gedanken verwenden, ob es vielleicht jenseits des ratioal Beweisbaren eine Kraft gibt, die uns stützen und nähren kann. Möchte sich vielleicht in der Unerforschlichkeit der Metaphysik Gott von uns finden lassen? Kann er vielleicht das Fundament unseres Lebens sein, auf das wir setzen können? Der Umstand, dass wir uns bei dieser Frage den Grenzen der Vernunft nähern, stellt dabei keine intelektuelle Kapitualation dar. Allerdings gehört es zur Redlichkeit, die Grenzen der Vernunftsargumentation zu nennen und anzuerkennen. Diese Grenzen liegen in der Natur der metaphysischen Qualität von letzten Werten. Doch auch jenseits des harten Vernunftsbeweises lassen sich  Aspekte beleuchten, die die  Tauglichkeit Gottes als lebendige Wurzel unseres Lebens unterstützen. Um hier Klarheit zu gewinnen, wollen wir die beiden oben angesprochenen Qualitäten der Wurzel betrachten. Kann also Gott ein stabilisierendes Fundament unseres Lebens sein und gleichzeitig eine uns nährende Kraftquelle?

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