"Ich möchte glauben lernen"

In Amerika redete Dietrich Bonhoeffer einmal mit einem jungen Pfarrer über die Ziele in ihrem Leben. Damals sagte Bonhoeffer, er wolle lernen zu glauben. Dieser Lernprozess zog sich durch sein ganzes Leben. Unaufhörlich  fragte er danach, was Christsein und Kirche heute bedeutet, und wie man den christlichen Glauben in einer unreligiösen Sprache vermitteln könne. „Was mich unablässig bewegt, ist die Frage, wer Jesus Christus heute für uns eigentlich ist.“

bonhoeffer(c) by Gütersloher VerlagshausAus dem Gefängnis in Berlin-Tegel schrieb Bonhoeffer an seine Verlobte und an Freunde Briefe, die teilweise erhalten geblieben sind. In den Briefen von April bis August 1944 schrieb er über die „nichtreligiöse Interpretation der biblischen Begriffe in einer mündig gewordenen Welt“. Bonhoeffer erkannte das Problem, dass im 20. Jahrhundert die westliche Welt nicht mehr vom Christentum geprägt war wie die Jahrhunderte zuvor.

Durch Aufklärung und wissenschaftlichen Fortschritt erlebten die Menschen nicht mehr die „Abhängigkeit“ von einem Schöpfer, nicht mehr die „Notwendigkeit“ eines Gottes zur Erklärung der Welt. Bonhoeffer schrieb: „Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen, die Menschen können einfach so wie sie nun einmal sind, nicht mehr religiös sein.“ Er war unzufrieden damit, dass Religiöse oft nur unter Ausnutzung der menschlichen Schwächen und Grenzen von Gott redeten. Wenn die menschliche Erkenntnis oder die Wissenschaft am Ende ihrer Kräfte war, so wurde Gott als Lösung des Problems vorgeschoben. Doch diese Art der Religion ging Bonhoeffer zuwider. „Ich möchte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen. […] Die Kirche steht nicht dort, wo das menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen, sondern mitten im Dorf.“

Die entscheidende Frage war also: „Wie kann Christus der Herr der Religionslosen werden?“

Diese Thematik Bonhoeffers könnte aktueller nicht sein! Heute am Anfang des nächsten Jahrhunderts leben die meisten Menschen in dem Glauben, dass es auch gut ohne einen Gott geht. Für Christen stellt sich demnach die Frage, wie man Christus all jenen Menschen näher bringen kann, die für verstaubte Kirchen, altmodische Lieder und Gebet nichts übrig haben.

Bonhoeffer sah die Notwendigkeit einer neuen, unreligiösen Sprache. Im Gespräch mit unseren Mitmenschen dürften wir nicht in einer dem modernen Menschen unverständlichen Sprache reden. Wie diese unreligiöse Sprache tatsächlich aussieht, geht aus Bonhoeffers Werken nur ansatzweise hervor und bleibt letztendlich den Sprechenden überlassen. Bonhoeffer schreibt, es gehe darum, mit Christus im Jetzt zu leben. Dies könnte z.B. heißen, dass man seinen Glauben an Gott nicht nur am Sonntag pflegen sollte.
bonhoeffer-info

Gelebter Glaube die ganze Woche hindurch kann eine Sprache sein, um unseren Mitmenschen Gott näher zu bringen. So sollen Christen für andere da sein und als Vorbild zeigen, was es heißt, im Glauben an den christlichen Gott sein Leben zu gestalten. Gute Beispiele dafür sind  Engagement in Tafeln für Bedürftige, Kindergärten und Krankenhäusern – denn christliches Leben möchte nicht in die Kirchenräume verbannt werden, sondern in den Alltag der Gesellschaft hineinreichen und wahrgenommen werden. Bonhoeffer schreibt voller Hoffnung: „Aber der Tag wird kommen – an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, dass sich die Welt darunter verändert und erneuert. Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu, dass sich die Menschen über sie entsetzen und doch von ihrer Gewalt überwunden werden […]“

Nun stellt sich die Frage, ob dann Gebet, Gottesdienst und andere christliche Traditionen abgeschafft werden sollen? Sollten sie als „zu religiös“ ad acta gelegt werden?

Nein! Für Bonhoeffer waren diese ein unerlässlicher Bestandteil des christlichen Glaubens. Im Gefängnis in Tegel verbrachte er seine Tage mit dem Studium der Bibel und mit Beten. Und man kann sich vorstellen, welche Qual es für ihn war, alleine in seiner Zelle sitzen zu müssen, anstatt mit seiner Familie Weihnachten oder Ostern feiern zu können! Für Bonhoeffer war es klar, dass Gott an unserem ganzen Leben teilhaben möchte: Er möchte unser persönlicher Gott sein und unser Gegenüber im Gebet. Er möchte die Gemeinschaft mit anderen Christen segnen. Er möchte uns in unserem Alltag, bei der Arbeit, in der Uni und in der Freizeit begleiten. Er erwartet, dass wir uns mit unseren christlichen Überzeugungen in Politik und Gesellschaft einbringen.

Das Leben Bonhoeffers, seine Taten und seine Schriften geben uns viel Hoffnung und Trost. Sie enthalten aber auch einen Auftrag, den es noch umzusetzen gilt: Die Botschaft Christi in der heutigen Zeit erfahrbar zu machen!

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