"Im Prinzip bin ich ja auch nur Suchender"

Claudia Neumaier studiert Theologie. Sie hat für 10 Tage sogenannte kontemplative Exerzitien gemacht – 10 Tage Stille und Gebet in einem katholischen Meditationshaus in Bayern. Wie sich so viel Stille anfühlt und was das überhaupt soll, das hat sie Miriam Schmiedeke gemütlich in der Sonne auf dem Campus sitzend gefragt.

Miriam:
Claudia, 10 Tage Stille -  Wie kommt man auf so eine Idee?

Claudia: Ich habe schon seit längerem bei der KHG  (Katholische Hochschulgemeinde, Anm. d. Red.) beim Herzensgebet mitgemacht. Dabei wird still der Name Jesus Christus gebetet, man kommt zur Ruhe und kann Kraft sammeln... Aber ich fand es oft schwierig, mich  direkt aus dem Alltagsstress auf Gott und Stille einzulassen. Ich wollte mir mal mehr Zeit dafür nehmen.

Miriam: Wie sah die Zeit dann konkret aus? Was genau hast du gemacht?

Claudia: Wir waren in einem Meditationshaus mit Kapelle mitten in der Natur. Die Tage bestanden aus Meditation (Herzensgebet), im Wald Spazierengehen und Schweigen. Gegessen haben wir in der Gruppe zusammen – wir waren 30 Leute – und abends gab es eine Eucharistiefeier (auch bekannt als “Abendmahl”, Anm. d. Red.). Außerdem hatte man einmal am Tag, nach Bedarf, ein Seelsorge-Gespräch.

Miriam: Du kanntest die anderen Leute gar nicht vorher - und dann habt ihr ja auch kaum miteinander geredet - war das nicht merkwürdig?

Claudia: Eigentlich war es eher faszinierend: Obwohl wir uns ja fast nicht kannten, ist richtige Wertschätzung für die anderen entstanden. Und wenn Gefühle bei  einem hochkamen, die vorher unterdrückt waren und man mal weinen musste, war es gut, dass andere in der Nähe waren. Die Leute waren einfach ehrlich. Es war der erste Ort, an dem ich wirklich angekommen bin. Und das hat mich verändert.

Miriam: Was genau?

Claudia: Beim Beten sind oft persönliche Sehnsüchte rausgebrochen, manchmal hat das echt weh getan. Jeder von uns hat Sehnsüchte – und dort habe ich für mich die Quelle gefunden, die meine Sehnsucht stillt. Ich habe gelernt, dass man seine Schattenseiten nicht ablehnen darf, sondern sie zulassen und sie Jesus schenken muss, damit er sie heilt.

Miriam: Wie war es denn dann für dich wieder zurück nach Göttingen, in deinen Alltag zu kommen?

Claudia: Erst war es schon ein kleiner Schock... Wieder an der Uni – und direkt wieder im Stress. Mein  Alltag hier wirkte auf einmal so hohl, es hat einfach keinen Sinn mehr gemacht. Nur bei Gott zu sein im Gebet, in der Stille, das fühlte sich so viel sinnvoller an, so wie: Das ist richtiges Leben.

Miriam: Obwohl du in den 10 Tagen im Grunde nichts gemacht hast?

Claudia:  Ja. Ich habe gelernt, dass bei Gott, in der Stille, weder Leistungsdruck noch Erwartungen da sind. Man muss einfach nur da sein, so wie man ist, weil Jesus einen genau so liebt. Es war auch irgendwie ein befreiendes Gefühl zu merken, dass der Druck etwas zu leisten, im Gebet verschwinden kann und niemand Anforderungen an einen stellt, nicht einmal man selbst.

Miriam: Ist das vielleicht Freiheit?

Claudia:  Ja, ich glaube schon. Im Alltag hat man so oft Angst zu versagen, aber bei Gott kann man einfach nur echt sein, genau so wie man ist. In den 10 Tagen Exerzitien habe ich einmal in wahre Freiheit reinschnuppern können. Dafür bin ich sehr dankbar. Anfangs war es eher so, dass ich mich in die Kapelle gezwungen habe, aber dann hat es mich automatisch da hingezogen.

Miriam: Was hast du denn davon „mitgenommen“ für deinen Alltag?

Claudia: Es ist echt schwierig für mich, das im Alltag umzusetzen. Besonders im Prüfungsstress... Aber diese Gegenwart Gottes, die Stille fehlt mir so. Und mir jeden Tag neu Zeit für Gott zu nehmen, in die Natur zu gehen, zu beten, ist nicht leicht momentan. Ich glaube aber trotzdem, dass das auch im Alltag möglich ist: Immer in Gottes Gegenwart zu leben, trotz Leistungsdruck. Die Frage ist halt: Wie gehe ich mit dem Stress um? Bin ich zu 100% da, wo ich gerade bin? Höre ich anderen echt zu? Oft sind wir in Gedanken überall: in der Vergangenheit, in der Zukunft, aber nicht in der Gegenwart. Aber ich muss mich auch oft fragen: Ist meine Sehnsucht, meine Hingabe noch da oder verdränge ich sie? Oft kompensieren wir unsere Sehnsüchte nur mit Sport und Partys. Aber wenn man ehrlich ist hilft das auf Dauer auch nicht, es füllt einen nicht, und die Sehnsucht bleibt.

Miriam: Sind denn Exerzitien etwas für jeden? Würdest du es anderen auch empfehlen?

Claudia: Natürlich gibt es verschiede Formen der Stille. Mir hilft zum Beispiel Beten in der Natur. Und ich merke, dass es besser ist für meine Freundschaften, wenn ich diese Stille öfter habe. Meine Beziehungen sind nur so tief, wie ich in mir selbst und in Gott tief bin. Es geht, glaube ich, viel um die Bereitschaft, wirklich leben zu wollen. Aber die Sehnsucht haben wir alle. Im Prinzip bin ich ja auch nur Suchender. Es fehlt uns so oft an Vertrauen. Wir denken: Ich brauche niemanden, ich komme alleine zurecht, aber wir belügen uns. Wenn wir ehrlich sind, suchen wir alle – ich finde, wir sollten uns gegenseitig dabei unterstützen. Wieso also es nicht einmal ausprobieren?

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