Was bleibt, ist die Liebe

Missionare waren es, die sich in vergangenen Jahrhunderten in bis dato unbekannte Regionen der Welt vorwagten, um das Evangelium zu verkünden. Sie legten damit den Grundstein für Tourismus und Kulturaustausch, aber auch für Kolonialismus und Unterdrückung. Heute versuchen westliche Länder mit der Entwicklungszusammenarbeit ihren ehemaligen Kolonien zu wirtschaftlichem Aufschwung zu verhelfen – religiöses Missionieren ist dagegen inzwischen völlig verpönt. Und doch finden sich unter den Mitarbeitern der Entwicklungsdienste  auch zahlreiche Christen, die aus ihrem Glauben heraus ein entbehrungsvolles Leben im Dienst am Nächsten in Kauf nehmen. Unsere Autorin, die  als Kind christlicher Entwicklungshelfer in Afrika aufgewachsen ist, teilt mit uns einige Eindrücke und Gedanken.

Mission600© Hugh_Grant – pixabay.com„Ja, also meine Eltern sind christliche Entwicklungshelfer... äh, Entwicklungszusammenarbeiter, und auch christlich“ ... „sie arbeiten in der Entwicklungszusammenarbeit“ ... „öhm, aus christlicher Motivation“ ... „ja, also schon, weil sie gläubig sind“. Örks. Kill me now, denke ich oft, wenn die prädestinierte Frage nach meiner Herkunft oder dem Job meiner Eltern kommt. Ja, meine Eltern arbeiten seit 25 Jahren im Ausland. Nein, sie sind keine Vielverdiener, die Kulturen zerstören, sie arbeiten für ein christliches Hilfswerk, das hauptsächlich aus Spenden finanziert wird. Und nein, meine Eltern sind keine Missionare. Und ja, vielleicht sind meine Eltern auch irgendwie Missionare. Eigentlich wehre ich mich gegen diese Bezeichnung, gegen die Bedeutung, mit der viele Menschen heute das Wort „Missionar“ belegen, gegen die Konzepte, die der Begriff aufwirft. Als ehemalige Ethnologie-Studentin kann ich versichern, dass meine Eltern weder Neokolonialisten sind noch die Überlegenheit der westlichen Kultur vertreten.

Der Begriff „Mission“ wirft eine Reihe von Fragen auf. Zum Beispiel: Welches Recht haben Menschen, anderen Menschen ihre Überzeugungen aufzudrängen, aus der eigenen Perspektive womöglich Elemente der fremden Kultur als „schlecht“ oder „falsch“ zu bewerten? Wirkt die christliche Religion in manchen Regionen nicht eher schädlich, ist sie nicht völlig unpassend für Lebensweisen, die ohne sie auch gut funktionieren?

Der zweite sensible Punkt bei Gesprächen über die Arbeit meiner Eltern ist die „Entwicklungszusammenarbeit“, wie man es heute politisch korrekt ausdrückt. Oft hat man von Projekten gehört, die die lokalen Sitten völlig ausser Acht gelassen haben und durch mangelndes Wissen schließlich kläglich scheiterten. „Westliche“ Anliegen und Sichtweisen prägen leider noch viel zu oft das Handeln, vor allem im Bildungssektor. Viele Menschen, mich eingeschlossen, lehnen den Beigeschmack der Überlegenheit ab, der die Gedanken zur Entwicklungszusammenarbeit oft durchdringt.

Meine Eltern nun sind christliche Entwicklungszusammenarbeiter, wenn es diesen Begriff überhaupt gibt. Darin verbergen sich gleich beide Konfliktthemen: Mission und Entwicklungszusammenarbeit. Trotzdem gelingt es meinen Eltern meiner Meinung nach, den positiven Sinn dieser beiden Aspekte zu vereinigen. Das möchte ich anhand des Lebenswegs meiner Eltern erklären, der mich so stark geprägt hat. Dazu muss ich ein wenig ausholen.

Die Anfänge

In meinem Vater entstand das Bedürfnis, in Afrika zu leben, schon früh: Er wuchs selbst als Kind von Entwicklungshelfern in Botswana und Tansania auf. In dieser Zeit traf er auch die Entscheidung, Christ zu werden. Seine Mutter, die für den Deutschen Entwicklungsdienst arbeitete, stand dem Christentum eher ablehnend gegenüber. Es waren Schulfreunde, die ihn auf den Glauben aufmerksam machten. Mit 16 Jahren beschloss er dann, sein Leben künftig ganz von Gott bestimmen zu lassen.

In Tansania wurde mein Vater Zeuge einiger Hungersnöte. Aus dem Wunsch heraus, etwas dagegen zu tun, studierte er in Deutschland tropische Landwirtschaft. Rückblickend sagt er: „Ich dachte, dass Gott mir dadurch, dass ich mich in Afrika wohlfühle und auskenne, meinen Lebensweg vorzeichnete. Ich wollte helfen, indem ich bessere landwirtschaftliche Methoden erlerne und den Leuten dann beibringe.“

Die Geschichte meiner Mutter ist anders: Sie machte im Alter von 24 Jahren eine radikale Kehrtwende, wandte sich von ihrem vorherigen destruktiven Lebensstil ab und entschied sich, fortan Gott zu dienen. Auch sie wollte im Ausland arbeiten. An der Universität lernten sich meine Eltern kennen und verlobten sich dann bei einem gemeinsamen Praktikum auf einer Farm in Sambia.

Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Dorf in Sambia, der zweiten Projektstelle meines Vaters. Wir haben unter nahezu den gleichen Lebensbedingungen gelebt wie die anderen Leute im Dorf: Elektrizität gab es immer nur für ein paar Stunden vom Generator am Fluss. Mein Papa hat irgendwann eine Antenne vors Haus gestellt, damit wir Radio empfangen konnten. Am Anfang kochte meine Mama mit einem Kohleofen vorm Haus und ich spielte die meiste Zeit mit meinen Geschwistern barfuß draußen, am liebsten am Fluss.

Mein Vater hat damals mit Bauern gearbeitet, die Subsistenzlandwirtschaft betrieben, also nur für ihren eigenen Bedarf produzierten. Er zeigte ihnen, wie man Kühe hält und wie man einfache Gespanne baut, um größere Flächen pflügen zu können und regte dann an, die gesteigerten Ernteerträge zu verkaufen. Später haben wir in Lilongwe, der Hauptstadt Malawis, unter ganz anderen Lebensbedingungen gelebt: in einem großen Haus und mit eigenem Dienstwagen. Mein Vater hat hier gemeinsam mit lokalen Regierungsorganisationen und der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ein Seminar zur Ausbildung von Grundschullehrern aufgebaut, da in Malawi ein großer Lehrermangel herrscht. Denn viele junge, bereits ausgebildete Menschen sterben an Aids.

Der Glaube als verändernde Kraft

Am stärksten beeindruckt mich an meinen Eltern, dass sie das alles nicht für sich selbst tun, sondern ihr Leben für ein anderes, größeres Ziel hingeben. Die Kraft, etwas für andere Menschen zu tun, schöpfen sie dabei immer wieder aus dem Glauben an Gott. Weil er sie versorgt, weil er sie mit seiner Liebe beschenkt, sind sie fähig, etwas davon weiterzugeben. Bis heute verdienen sie wenig Geld und haben wenig Besitz. Und auch mit ihrer Arbeit in Afrika wollten sie nicht in erster Linie den materiellen Wohlstand der Menschen vergrößern, sondern vor allem das teilen, was ihr eigenes Leben verändert hat: die Beziehung zu Jesus Christus. Sie haben sich an ihren unterschiedlichen Arbeitsorten immer in örtlichen Kirchen engagiert. Gemeinsam mit den Leuten vor Ort haben sie Jugendgruppen und Freizeiten angeboten, bei denen es um die Themen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ging. Im Widerspruch zur aktuellen Kultur der Gastländer stand dies jedoch nicht. So ist  Malawi beispielsweise ein sehr religiös geprägtes Land. Fast jeder würde sich als Christ oder Muslim bezeichnen und im Radio laufen christliche Sender rauf und runter.

Das College, das mein Vater dort geleitet hat, war christlich ausgerichtet: Es gab Glaubenskurse und gemeinsame Gottesdienste. Ein Anliegen war es, den jungen Studenten Leidenschaft am Unterrichten mit auf den Weg zu geben und sie zu ermutigen, in die Dörfer zu gehen, die aus wirtschaftlichen Gründen unbeliebt sind. Sie sollten ihre eigene Identität entwickeln und ihren Wert erkennen. Das ist ein Beispiel für die doppelte  Ausrichtung der Entwicklungsarbeit meiner Eltern und ihrer Organisation: Die jungen Lehrer erhalten eine Ausbildung auf einem sehr hohen Niveau, sodass sie mit ihrem Abschluss sehr gute Berufsaussichten haben. Gleichzeitig werden die Studenten in ihrem Glauben und in ihrem persönlichen Wachstum gestärkt. Wir haben auf diese Weise erlebt, wie junge Menschen nicht nur eine Ausbildung bekamen, sondern auch eine wirkliche Veränderung in ihrem Leben erfahren haben.  

Im persönlichen Leben der Menschen dieser Region besteht oft eine große Grundangst vor den Geistern der Ahnen, vor  Hexen und den sogenannten „Witchdoctors“. Diese Angst bestimmt fast alle Beziehungen und Entscheidungen der Menschen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass jemand einen Grund findet, dich verhexen zu lassen. Es ist schwer in Worte zu fassen, wie real für Menschen, die unter dieser Angst des Aberglaubens leben, die befreiende Wirkung des Christentums ist. Ich habe oft gesehen, wie die Entscheidung für den Glauben emotionalen Frieden und ein inneres Heilwerden bewirkte, das ich logisch nicht erklären kann.

Was bleibt?

Das deutsche Gesetz schreibt vor, dass man in der Entwicklungszusammenarbeit maximal sieben Jahre an einem Projekt arbeiten darf. Manchmal ist es daher schwierig, zu erkennen, was dann von der Arbeit übrig bleibt. Ist Entwicklungshilfe langfristig überhaupt eine „Hilfe“?

Vor einigen Jahren war mein Vater enttäuscht, als er seine erste Arbeitsstätte besuchte, eine Ausbildungsstätte für Studenten der Landwirtschaft. Es erschien ihm alles so heruntergekommen und kaum weitergewachsen. Viele der Gebäude waren einfach nicht renoviert worden und die Zahl der Studenten hatte sich kaum vergrößert.

Für mich war der Besuch jedoch ein großes Zeugnis für das, was wirklich im Leben bleibt: lebendige Beziehungen. Manifestiert wurde diese Erkenntnis durch das Wiedersehen mit der ehemaligen Angestellte meiner Eltern, die auch meine „Nanny“ war. Sie hegt eine tiefe Liebe für meine Eltern, die ihren Glauben mit ihr geteilt hatten, als sie noch ein junges Mädchen war. Vor allem durch unser gemeinsames Gebet wurde ich innerlich tief berührt. Die Begegnung hat mich nachhaltig beeindruckt, da sie eine Frau voller Kraft und Weisheit ist.

Auch am nächsten Tag im Gottesdienst spürte ich die unglaubliche Lebensfreude der Menschen. Vielleicht hatte sich äußerlich nicht viel verändert, aber Gott hat offensichtlich eine große Veränderung in den Menschen bewirkt. Wenn es etwas gibt, was bleibt, dann sind es die Beziehungen, in die wir investiert haben, die Menschen, die langfristig durch uns ermutigt wurden – sei es durch bessere Bildungschancen, mehr Möglichkeiten, sich und ihre Familie zu ernähren – oder eben durch die Begegnung mit einem Gott, der frei macht.

Die Bibel fordert uns auf, Nächstenliebe zu praktizieren und anderen selbstlos zu dienen. Diesen Gedanken, den „Gutmensch-Aspekt“ der Arbeit meiner Eltern, finden meine Gesprächspartner fast immer unterstützenswert. Nächstenliebe besteht aber nicht nur aus tätiger Hilfe. Was die Arbeit meiner Eltern ausmacht, sind nicht nur Bauern, die eine größere Ernte erzielen, Studenten, die eine gute Ausbildung erhalten, nicht nur bessere Organisationsstrukturen und Berufsaussichten. Es sind vor allem auch die Freiheit, die Liebe, die Motivation und Kraft, die die Menschen nun aus ihrer Beziehung zu Jesus Christus schöpfen können, weil sie ihn durch meine Eltern kennengelernt haben.

zum Weiterlesen

Parris, Matthew (2008): As an atheist, I truly believe Africa needs God, The Times - Columnists.

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