Freude, Freude über Freude!

Jedem begeisterten Europäer ist sie bekannt, sie ertönt im Fernsehen vor jeder Eurovisions-Sendung: Die Ode an die Freude. Die tiefe Sehnsucht nach Aussöhnung und Harmonie, die in diesem Gedicht zum Ausdruck kommt,  begeistert bis heute Millionen. Doch wie stellt sich Schiller diese Freude eigentlich vor? Ein Deutungsversuch.

Jahrmarktsfreude


Es ist wohl eines der schönsten Gedichte der Weltliteratur, eine Hymne der Begeisterung, voller Überschwänglichkeit und ansteckender Rhythmik! Das Meistergedicht des jungen Schiller, vertont vom reifen Beethoven, gleicht einer Meereswoge, die mit ihrer überwältigenden Kraft den Leser mit sich fortreißt und glückstrunken ans Ufer spült.

Der strahlende Auftakt ist vielen in Fleisch und Blut übergangen: Die Freude – ein Götterfunke von überirdischer Qualität, der die Generationen, ja alle Menschen in Sanftheit vereint. Doch auch wenn nach der ersten Strophe die Textkenntnis nachlassen mag – an Intensität und Inbrunst büßt dieses Gedicht nicht im Geringsten ein – im Gegenteil! „Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuss der ganzen Welt. Brüder – überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen.“ Mit welchem Pathos weist die überschwängliche Freude über sich hinaus zu einem himmlischen Vater, der allem Leben, dem ganzen All wohlgesonnen und die Quelle aller Freude ist. Die Freude selbst führt uns zu ihrer Quelle: „Huldige der Sympathie! Zu den Sternen leitet sie, wo der Unbekannte thronet!“

Schiller hat uns mit seiner Ode „An die Freude“ eine religiöse Meditation geschenkt: Angespornt durch Freude sollen wir um Gott kreisen. Schiller nennt Gott den Unbekannten über Sternen, Schöpfer der Welt, „Sternenrichter“ und „lieben Vater“ überm Sternenzelt. Von ihm kommt die himmlische Freude, die die Generationen und Milieus miteinander verbindet. Der Freude „Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt! Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.“

So avanciert die Freude zum Lebensthema, aus der Menschen in unterschiedlichsten Lebensfeldern Kraft ziehen können: Forschung, Ethik und Glaube – sie alle eint, dass man in ihnen der Freude begegnen kann: „Aus der Wahrheit Feuerspiegel lächelt sie den Forscher an. Zu der Tugend steilem Hügel leitet sie des Dulders Bahn. Auf des Glaubens Sonnenberge sieht man ihre Fahnen wehn, durch den Riss gesprengter Särge sie im Chor der Engel stehn.“ Wahrheit, Tugend und Glaube klingen bei Schiller alles andere als freudlos und fad. Stattdessen werden sie durch die Freude zu etwas Kraftvollem und Lebensveränderndem. Freude am Forschen, Freude am Dulden, Freude am Vertrauen – ein ganz anderer Ton wird hier angeschlagen als der Alltag, den viele an Universität und im Zwischenmenschlichen erleben.

Am Ende spricht Schiller eine starke Hoffnung aus, die Hoffnung auf eine ausgesöhnte Welt: Rache? Vergessen. Dem Feind? Vergeben. Das Schuldbuch? Vernichtet. Alles Seiende? Versöhnt, heil, angekommen. Es mag utopisch klingen, was der junge Schiller da schreibt, aber es sind Sehnsucht, Hoffnung und Vorfreude, die seine Feder führen. Die Welt wird eine andere sein als die Welt, die wir kennen: versöhnt, vereint, vollkommen.



An die Freude (1785)

Friedrich Schiller

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligtum.
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng geteilt,
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.
Seid umschlungen Millionen!
Diesen Kuss der ganzen Welt!
Brüder – überm Sternenzelt

Muss ein lieber Vater wohnen.
Wem der große Wurf gelungen,

Eines Freundes Freund zu sein;
Wer ein holdes Weib errungen,
Mische seinen Jubel ein!

Ja – wer auch nur  eine  Seele

Sein  nennt auf dem Erdenrund!

Und wer’s nie gekonnt, der stehle
Weinend sich aus diesem Bund!
Was den großen Ring bewohnet,

Huldige der Sympathie!

Zu den Sternen leitet sie,

Wo der  Unbekannte  thronet.
Freude trinken alle Wesen
An den Brüsten der Natur,

Alle Guten, alle Bösen

Folgen ihrer Rosenspur.
Küsse gab sie  uns  und  Reben,
Einen Freund, geprüft im Tod.
Wollust ward dem Wurm gegeben,
Und der Cherub steht vor Gott.


Ihr stürzt nieder, Millionen?

Ahndest du den Schöpfer, Welt?
Such’ ihn überm Sternenzelt,
Über Sternen muss er wohnen.
Freude heißt die starke Feder

In der ewigen Natur.

Freude, Freude treibt die Räder
In der großen Weltenuhr.
Blumen lockt sie aus den Keimen,
Sonnen aus dem Firmament,

Sphären rollt sie in den Räumen,

Die des Sehers Rohr nicht kennt!


Froh, wie seine Sonnen fliegen,
Durch des Himmels prächt‘gen Plan,

Laufet Brüder eure Bahn,

Freudig wie ein Held zum Siegen.
Aus der Wahrheit Feuerspiegel
Lächelt  sie  den Forscher an.
Zu der Tugend steilem Hügel

Leitet  sie  des Dulders Bahn.

Auf des Glaubens Sonnenberge

Sieht man  ihre  Fahnen wehn,
Durch den Riss gesprengter Särge
Sie im Chor der Engel stehn.


Duldet mutig, Millionen!

Duldet für die bessre Welt!

Droben überm Sternenzelt
Wird ein großer Gott belohnen.
Göttern kann man nicht vergelten,
Schön ist‘s ihnen gleich zu sein.

Gram und Armut soll sich melden

Mit den Frohen sich erfreun.
Groll und Rache sei vergessen,
Unserm Todfeind sei verziehn.

Keine Träne soll ihn pressen,

Keine Reue nage ihn.


Unser Schuldbuch sei vernichtet!
Ausgesöhnt die ganze Welt!
Brüder – überm Sternenzelt

Richtet Gott, wie wir gerichtet.


[...]
Schließt den heilg‘en Zirkel dichter,
Schwört bei diesem goldnen Wein:
Dem Gelübde treu zu sein,
Schwört es bei dem Sternenrichter!
[...]

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