Gepflanzt für die Zukunft

Die Wurzel der Zukunft – das sind wir. Aus diesem schlichten Umstand erwächst uns eine Verantwortung über uns hinaus. Wir sollten sie mit Freude ausfüllen.

Ein Weiser mit Namen Choni ging einmal über Land und sah einen Mann, der einen Johannisbrotbaum pflanzte. Er blieb stehen, sah ihm zu und fragte: “Wann wird das Bäumchen wohl Früchte tragen?” Der Mann erwiderte: “In siebzig Jahren.” Da sprach der Weise: „Du Tor! Denkst du in siebzig Jahren noch zu leben und die Früchte deiner Arbeit noch zu genießen? Sondern pflanze lieber einen Baum, der früher Früchte trägt, dass du dich ihrer erfreust in deinem Leben.”

Der Mann aber hatte sein Werk vollendet und sah freudig darauf, und er antwortete: „Rabbi, als ich zur Welt kam, da fand ich Johannisbrotbäume und aß von ihnen, ohne dass ich sie gepflanzt hatte, denn das hatten meine Väter getan. Habe ich nun genossen, wo ich nicht gearbeitet habe, so will ich einen Baum pflanzen für meine Kinder oder Enkel, dass sie davon genießen. Wir Menschen mögen nur bestehen, wenn einer dem anderen die Hand reicht.”

Lebensbaun(c) emaria - Fotolia.comAls ich diese Geschichte zum ersten Mal las, staunte ich über die Klarheit ihrer Botschaft. Der Mann, der den Johannisbrotbaum pflanzt, hat erkannt, dass er Dinge genossen hat, für die er nicht gearbeitet hat, und versucht nun, als Gegenleistung den zukünftigen Generationen etwas zu geben, das sie genießen können.

Ich überlegte, in welchen Bereichen meines Lebens ich von etwas profitiert habe, für das ich nichts tun musste. Da fiel mir auf, dass ich bisher fast alles bekommen habe, ohne dafür zu arbeiten. Meine Eltern haben mir Essen, Unterkunft und eine Erziehung gegeben – das war für mich (und sollte es auch sein) selbstverständlich. Ich wuchs auf in einem Land, in dem es schon Demokratie gibt – wir müssen nicht, wie in anderen Ländern, dafür kämpfen. Ich konnte zur Schule gehen und der Staat ermöglicht mir nun ein Studium – nicht nur dadurch, dass er die Universitäten finanziert, sondern auch dadurch, dass ich Bafög bekomme. Dies wird alles von Steuergeldern bezahlt, die nicht von mir stammen. So ist das Leben in Deutschland: Unverdient genießen wir den Wohlstand, in den wir hineingeboren wurden. Man mag einwenden, dass wir, wenn wir berufstätig sind, dann doch über unsere Steuergelder dafür bezahlen und damit dafür sorgen, dass künftige Generationen dasselbe bekommen wie wir. Der Unterschied zu dem Mann, der den Baum pflanzt, besteht jedoch darin, dass er dies völlig freiwillig macht. Wer in Deutschland würde Steuern zahlen, wenn er es nicht müsste, und wie viele versuchen, irgendwie das Steuerzahlen zu umgehen?

Auch wurde mir bewusst, dass es Dinge gibt, die ich in der Zukunft nicht so leicht „zurückzahlen“ kann. So wird z.B. durch meine Lebensweise ein Teil der Umwelt unwiderruflich zerstört. Die CO2–Emission, die durch mich beim Autofahren und Fliegen entstanden ist, kann ich nicht rückgängig machen. Die Schäden im Regenwald, die ich durch Verwendung von günstigem Papier aus Holz verursacht habe, werden nicht wieder aufgeforstet. Ich hinterlasse der nächsten Generation eine Welt, die weniger vollkommen ist als die, die ich vorgefunden habe.

Natürlich bin ich nicht allein an der Klimaerwärmung, der Abholzung von Regenwäldern und dem Verschwenden natürlicher Ressourcen Schuld. Natürlich kann ich alleine wenig dagegen ausrichten. Wenn ich nur Recycling–Papier verwende, wird der Regenwald trotzdem abgeholzt. Wenn ich nie wieder fliege, starten jeden Tag noch genauso viele Flugzeuge. In dieser Argumentationsweise finde ich dann den Weisen Choni wieder. Er  wundert sich über den Mann, der einen Baum pflanzt, von dem er nichts mehr wird ernten können. Der Weise vertritt eigentlich eine durchaus vernünftige und wirtschaftliche Einstellung zum Leben: „Tu das, was dir nützt!“ Er macht den Mann darauf aufmerksam, er könne ja auch einen Baum pflanzen, von dem er selbst noch ernten könnte. Wenn wir ehrlich sind, folgen auch wir meistens dieser Einstellung. Selbst wenn wir einem Freund ein sehr schönes Geschenk machen, nützt dies auch uns selber, indem uns Dankbarkeit entgegen gebracht wird. Wenn wir Bio–Produkte kaufen, verschafft uns das ein gutes Gefühl, weil wir denken uns gesünder zu ernähren.

Wenn wir jedoch überlegen, welche unserer Taten wirklich etwas für künftige Generationen verändert haben, wird es schwer, welche zu finden. “Giving back“ und Nachhaltigkeit sind zwar in aller Munde, doch hat man dabei oft das Gefühl, dass dabei nur mit unserem schlechten Gewissen Schindluder getrieben wird. Der Baumpflanzer aus der Geschichte pflanzt den Baum nicht, damit er dafür Anerkennung bekommt. Er pflanzt ihn aus dem eigenen tiefen Bedürfnis heraus, etwas zurückzugeben für das, was er im Leben bekommen hat. Vielleicht sogar als Dank für das Geschenk des Lebens selbst. Und er tut dies nicht aus einem schlechten Gewissen heraus, sondern einfach, weil es ihm Freude macht.

Ich wünsche mir, dass ich selber mehr wie der Mensch werde, der den Johannisbrotbaum pflanzt. Dass ich erkenne, an welchen Stellen meines Lebens ich unverdient von etwas profitiere, und dieses Wissen dazu nutze, selbstloser zu handeln. Dass ich darauf achte, wie ich durch mein Handeln etwas für die Zukunft bewirken kann und dass mir immer mehr bewusst wird: „Wir Menschen mögen nur bestehen, wenn einer dem anderen die Hand reicht.“

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